Zurück zur campus.kn Startseite
© Bild: Anna Roik

Der Regenwald der Meere

Korallenriffe sind die tropischen Regenwälder der Meere: Sie sind die Heimat von rund einem Drittel der Lebensarten der Weltmeere und ein zentraler Faktor des marinen Ökosystems. Leider sind Korallenriffe genauso bedroht wie der Regenwald. Bedingt durch den Klimawandel findet gegenwärtig ein Massensterben der Korallen statt: Ihnen droht die Ausrottung noch in diesem Jahrhundert. An Bord des Segelschiffs Tara begab sich ein Wissenschaftsteam über zwei Jahre hinweg auf eine Kreuzfahrt durch den Pazifik, um die Lebens- und Überlebensbedingungen der Korallen zu erforschen. Mit an Bord: Der Konstanzer Biologe Prof. Dr. Christian Voolstra, einer der Koordinatoren der „Tara Pacific Expedition“.

 

© Bild: Vincent Hilaire

Expedition in den Pazifik

Die Tara stach am 28. Mai 2016 in Frankreich in See. Mehr als zwei Jahre lang segelte das Forschungsschiff durch den Pazifik, vom Panamakanal bis nach Japan, von Neuseeland über die Küste Chinas bis nach Kanada. Die Tara legte 100.000 Kilometer zurück, durchquerte elf Zeitzonen, bereiste 40 Archipele, alles mit einem Ziel: Die Lebensbedingungen von Korallen besser zu verstehen und den Bestand der Korallen im Pazifik zu dokumentieren.

Sämtliche Faktoren und Umweltbedingungen, die einen Einfluss auf Korallen haben, sollten in der „Tara Pacific Expedition“ festgehalten und in ihren Auswirkungen verstanden werden: Alle Symbiosen, die Korallen mit Organismen und Mikroorganismen eingehen, alle Tier- und Pflanzenarten, denen die Korallen eine Heimat bieten, ja selbst die Temperatur und die chemische Zusammensetzung des Wassers wurden dokumentiert.

© Bild: Claudia Pogoreutz

Das Schiff

Die Tara ist ein Segelschiff mit besonders flachem Rumpf – wie geschaffen dafür, Korallenriffe zu befahren, ohne sie zu beschädigen. Im Zeitraum der „Tara Pacific Expedition“ war das Schiff die Heimat von 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus acht Ländern. Einer von ihnen, in leitender Funktion, war Prof. Dr. Christian Voolstra, Professor für Genetische Adaption in aquatischen Systemen an der Universität Konstanz.

© Bild: Vincent Hilaire

Pioniergeist

„Es war mein Traum“, blickt Christian Voolstra auf die monumentale Schiffsexpedition zurück. Eine solch umfassende Erhebung der Lebensbedingungen von Korallen hat es noch nicht gegeben. Christian Voolstra hat in diesen zwei Jahren Gewässer durchtaucht, in denen noch kein Mensch geschwommen ist. Er hat Korallen gesehen, die größer als ein Haus und älter als 10.000 Jahre sind. Er schwamm mit Haien und sammelte in den Riffen des Pazifiks die Grundlage für Jahrzehnte der Forschung.

© Bild: Pete West

Doch er blickte auch auf einen Albtraum: Er sah Korallenfriedhöfe von meilenweitem Umfang, durch den Klimawandel verursacht. Er wurde Zeuge, wie in knapp drei Jahren ein Drittel aller existierenden Korallen verstarb. All dies ließ ihn nur noch entschlossener seinen wissenschaftlichen Auftrag verfolgen: Die Lebensbedingungen von Korallen zu ergründen und einen Weg zu finden, wie sie den Klimawandel überstehen können.

Die größte Arbeit liegt aber noch vor ihm: „Für jede Stunde im Wasser ist man 100 Stunden vorm Computer“, schildert Voolstra. Mit dem Abschluss der Schiffsexpedition fängt die eigentliche wissenschaftliche Arbeit erst an: Die Auswertung all der Proben, die genommen wurden, durch wissenschaftliche Analysen mit modernsten Methoden.

© Bild: Pete West

40.000 Proben

40.000 wissenschaftliche Proben aus den Korallenriffen des gesamten Pazifiks wurden im Verlauf der „Tara Pacific Expedition“ genommen. Jede von ihnen besteht aus mehreren Einzelproben, fein säuberlich verpackt und mit einem Barcode versehen. Es sind Proben von den Korallen selbst, von allen Algen und Mikroorganismen, die mit ihnen eine Symbiose eingehen, vom Wasser und seiner chemischen Zusammensetzung. Wassertemperatur, Tag und Zeit wurden jeweils als Metadaten ergänzt. Wissenschaftsteams aus der ganzen Welt sind nun damit beschäftigt, diese Proben auszuwerten.
 
„Wie in einem Spielzeugladen als Kind“ fühlt sich Christian Voolstra angesichts dieser exorbitanten Datengrundlage für seine Analysen: „Als Wissenschaftler ist es ein Traum. Mit vielen Proben und Big Data lassen sich Zusammenhänge erkennen, die wir sonst nicht sehen würden“, so Voolstra. Die Bandbreite der wissenschaftlichen Fragen und Auswertungsmethoden ist groß: ...

... Die Forscherinnen und Forscher beginnen nun, die Genome der Korallen und der Organismen, die mit ihnen in Symbiose leben, zu sequenzieren. Sie werden deren Genexpression untersuchen, deren Stoffwechselprodukte, mikrobiologische und chemische Interaktionen sowie biologische Anpassungs- und Abwehrmechanismen. Selbst die Altersforschung wird anhand der Korallen vorangetrieben: Korallen können bis zu 10.000 Jahre alt werden – wie gelingt ihnen dies und was können wir von ihnen lernen?
 
Das größte wissenschaftliche Potenzial liegt jedoch in der Zusammenarbeit all dieser einzelnen Bereiche. „Die Kooperation macht das Tara-Projekt so erfolgreich“, bekräftigt Voolstra. Erst aus der wechselseitigen Zusammenarbeit aller Forschungsgruppen und Labore ergibt sich ein Gesamtbild für die Lebensbedingungen der Korallen – wie in einem Puzzle, für das jedes Forschungsteam ein Teil liefert.
 

© Bild: Anna Roik

Korallen, von Natur aus ein „Multiplayer“

Korallen sind alles andere als Einzelgänger. Sie sind vielmehr Meta-Organismen, die aus der Symbiose vieler Mitgliedsorganismen bestehen. Korallen „verschmelzen“ mit photosynthetischen Algen, die Nährstoffe und Energie für sie liefern. Sie stehen im Austausch mit Mikroorganismen wie Bakterien, die einen wichtigen Anteil an ihrem Metabolismus und ihrer Genexpression haben. Korallen bilden den Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten und profitieren wechselseitig von ihnen. „Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Arten, die meisten unbeschrieben, sind Teil der nativen Gemeinschaft der Korallen Bakterien noch nicht einmal mitgezählt“, schildert Christian Voolstra. „Korallen sind ein echter Multiplayer.“

Die Gesamtheit dieser „nativen Gemeinschaft“ einer Koralle und all ihrer Mitgliedsorganismen wird Holobiont genannt, ihre gesamte genetische Information ist das Holobiom. Christian Voolstra hat es sich zur Aufgabe gesetzt, das gesamte Holobiom zu entschlüsseln. Er interessiert sich vor allem für die Interaktion zwischen all den Teilorganismen des Holobionten, bis hin zur Ebene des genetischen Austausches zwischen ihnen. So könnten beispielsweise durch Bakterien neue Gene in die Korallen eingebracht werden. Ein Austausch der Bakterien ermöglicht der Koralle eine genetische Anpassung innerhalb von nur Wochen.

© Bild: Anna Roik

„Leben geht symbiotisch vonstatten“, erläutert Voolstra. Korallen sind Spezialisten für symbiotische Gemeinschaften. Ihnen gelingt eine außergewöhnlich gute Anpassung aufgrund der Flexibilität des Holobiont-Netzwerkes, getrieben von den Einflussfaktoren ihrer Umwelt. „Korallen sind extrem gut an die vorhandenen Umwelt- und Klimabedingungen adaptiert. Sie nutzen ihr Ökosystem hocheffizient und sind echte ‚Powerhouses‘“, spricht Voolstra. Diese hochgradige Spezialisierung auf ihre Umweltbedingungen macht Korallen einerseits so erfolgreich, bringt aber andererseits eine große Gefahr mit sich: Sie reagieren extrem sensibel auf selbst minimale Änderungen ihrer Umweltbedingungen.

© Bild: Pete West

Nur ein Grad Celsius

Der Tod der Korallen ist weiß. „Korallenbleiche“ („coral bleaching“) wurde als Wort für ihn gefunden, benannt nach der charakteristischen Weißfärbung der betroffenen Korallen, bevor sie sterben. Die Ursache der Korallenbleiche liegt in der Erwärmung der Meere. Bedingt durch die steigende Wassertemperatur gehen im Inneren der Korallenzelle überlebenswichtige photosynthetische Algen, mit denen Korallen eine Symbiose eingehen, verloren. Ohne diese Algen beziehen die Korallen keine Nährstoffe aus der Photosynthese. „Den Korallen wird regelrecht die Nahrungsgrundlage entzogen“, schildert Voolstra. „Sie nehmen eine bleiche, weißliche Verfärbung ein, während sie allmählich verhungern.“

© Bild: Pete West

Eine Erwärmung des Gewässers um nur ein Grad Celsius reicht in einigen Regionen bereits aus, um die Korallenbleiche auszulösen. Selbst die optimistischsten Prognosen des Klimawandels gehen von einer Erhöhung der weltweiten Temperatur um mindestens 1,5 Grad Celsius aus. Dies würde genügen, um ein nahezu weltweites Aussterben der Korallen einzuleiten.

Korallenfriedhöfe

Im Pazifik sind bereits heute meilenweite Flächen von weiß gefärbten Korallen bedeckt, ganze Korallenfriedhöfe. Wissenschaftler sprechen von einem „Massen-Bleaching“, das in diesem Jahrzehnt verstärkt eingesetzt hat. „Vor den 1980er-Jahren gab es kein Massen-Bleaching. Auch 2010 war es noch nicht so schlecht um die Korallenriffe bestellt wie heute“, führt Christian Voolstra vor Augen: „2015 bis 2017 fand das bislang folgenreichste Massen-Bleaching statt, in dessen Konsequenz rund ein Drittel aller Korallen starb.“ An Bord der Tara wurde Christian Voolstra 2016 Zeuge der Verheerung. „Als würde ein Drittel des Regenwaldes einfach verschwinden“, beschreibt der Biologe seine Eindrücke von dem Massensterben der Korallen. „Uns wurde deutlich, dass viele der Korallen, die wir im Tara-Projekt vorfanden, mit uns zum letzten Mal von einem Menschen erblickt wurden.“
 
Weniger als die Hälfte des weltweiten Korallenbestandes ist noch in gutem Zustand. Ein Drittel wurde unwiederbringlich zerstört. Mindestens die Hälfte der verbliebenen Korallen wird binnen der nächsten 40 Jahre vernichtet sein. „Bis zum nächsten Jahrhundert werden 99 Prozent der Korallen ausgestorben sein, sofern wir sie nicht schützen können“, prognostiziert Voolstra, der Schätzung des International Panel of Climate Change (IPCC, https://www.ipcc.ch) folgend.

https://vimeo.com/220289475
© Bild: Ryan McMinds

Lebensgrundlage für Millionen Arten

Korallen sterben nicht allein. Von ihrer allmählichen Ausrottung sind unzählige weitere Arten betroffen. Korallenriffe bilden das Fundament eines komplexen Ökosystems, an dem Millionen von Spezies teilhaben: Fische, Vögel, Pflanzen, Mikroorganismen, auch der Mensch. Das Korallensterben hat fatale Folgen für all diese Arten und für das Ökosystem der Ozeane im Gesamten. „Wie viele Verluste kann ein Ökosystem ertragen, bevor es seine ökologische Funktion verliert?“, macht Christian Voolstra auf die „tipping points“ der natürlichen Netzwerke unseres Planeten aufmerksam – die Umschlagspunkte, an denen ein Ökosystem unwiederbringlich kippt.

„Studien zeigen, dass Ökosysteme mit vielen Arten stabiler sind als Ökosysteme mit wenigen Arten“, schildert der Biologe. Rund dreißig Prozent der Artenvielfalt unserer Meere spielt sich in Korallenbänken ab. Mit den Korallen würden folglich ein zentraler Stabilitätsfaktor der Meere und eine Lebensgrundlage für Millionen Arten wegfallen.

© Bild: Pete West

„Unsere Generation muss den Klimawandel lösen.“

Dennoch ist Christian Voolstra zuversichtlich, dass der Mensch noch eine Chance hat, die Korallenriffe zu retten: „Wir leben in der aufregendsten Zeit: Zuvor hatten wir die wissenschaftlichen Methoden nicht, um einzugreifen. Nun haben wir die Möglichkeit zu handeln. Unsere Generation muss den Klimawandel lösen.“ Das „Tara Pacific“-Projekt will seinen Teil dazu beitragen. Christian Voolstra und seine Kolleginnen und Kollegen wollen anhand der Proben aus dem Pazifik herausfinden, wie Korallen über das nächste Jahrhundert hinweg am Leben gehalten werden können.

Ein Schlüssel könnte in der genetischen Adaptionsfähigkeit der Korallen durch flexible Assoziation mit Mikroorganismen und deren genetischem Material liegen, vermutet Voolstra. "Durch das Knüpfen neuer Gemeinschaften mit anderen Mikroorganismen kann die Koralle ihr genetisches Repertoire und damit ihre Anpassungsfähigkeit erweitern, sozusagen ein ‚hardware und software update‘. Wir arbeiten an den Mechanismen, die dem zugrunde liegen, und untersuchen, wie wir sie beeinflussen können."

Eine Forschungsfrage, die ihn in den kommenden Jahren begleiten wird.

Quellen, Publikationen, Bild- und Videonachweise

Publikationen

Serge Planes, Denis Allemand, Sylvain Agostini, Bernard Banaigs, Emilie Boissin, Emmanuel Boss, Guillaume Bourdin, Chris Bowler, Eric Douville, J. Michel Flores, Didier Forcioli, Paola Furla, Pierre E. Galand, Jean-François Ghiglione, Eric Gilson, Fabien Lombard, Clémentine Moulin, Stephane Pesant, Julie Poulain, Stéphanie Reynaud, Sarah Romac, Matthew B. Sullivan, Shinichi Sunagawa, Olivier P. Thomas, Romain Troublé, Colomban de Vargas, Rebecca Vega Thurber, Christian R. Voolstra, Patrick Wincker, Didier Zoccola, the Tara Pacific Consortium (2019) The Tara Pacific expedition—A pan-ecosystemic approach of the “-omics” complexity of coral reef holobionts across the Pacific Ocean." PLOS Biology 17(9): e3000483.
Link: https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3000483
 
Steven J. Robbins, Caitlin M. Singleton, Cheong Xin Chan, Lauren F. Messer, Aileen U. Geers, Hua Ying, Alexander Baker, Sara C. Bell, Kathleen M. Morrow, Mark A. Ragan, David J. Miller, Sylvain Forêt, ReFuGe2020 Consortium, Christian R. Voolstra, Gene W. Tyson & David G. Bourne (2019) A genomic view of the reef-building coral Porites lutea and its microbial symbionts. Nature Microbiology. doi:10.1038/s41564-019-0532-4
Link: https://www.nature.com/articles/s41564-019-0532-4
 

Publikationen (Fortsetzung)

Maren Ziegler, Carsten G. B. Grupstra, Marcelle M. Barreto, Martin Eaton, Jaafar BaOmar, Khalid Zubier, Abdulmohsin Al-Sofyani, Adnan J. Turki, Rupert Ormond & Christian R. Voolstra (2019) Coral bacterial community structure responds to environmental change in a host-specific manner. Nature Communications 10, article 3092.
Link: https://www.nature.com/articles/s41467-019-10969-5

Todd C. LaJeunesse, John Everett Parkinson, Paul W. Gabrielson, Hae JinJeong, James Davis Reimer, Christian R. Voolstra, Scott R. Santos (2018) Systematic Revision of Symbiodiniaceae Highlights the Antiquity and Diversity of Coral Endosymbionts. Current Biology 28:2570-2580.e2576.
Link: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982218309072
 
Maren Ziegler, Francois O. Seneca, Lauren K. Yum, Stephen R. Palumbi, Christian R. Voolstra (2017) Bacterial community dynamics are linked to patterns of coral heat tolerance. Nature Communications 8, article 14213.
Link: https://www.nature.com/articles/ncomms14213

Zum Hintergrund:

Film "Our Ocean, Our Future" über Korallenriffe und die Korallenbleiche:
https://vimeo.com/220289475

„Bakterien machen Korallen widerstandsfähiger“ – aus der Forschung von Prof. Dr. Christian Voolstra:
https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/presseinformationen/presseinformationen/Bakterien-machen-Korallen-widerstandsfaehiger/

Weitere Informationen zur „Tara Pacific Expedition“:
https://oceans.taraexpeditions.org/en/m/environment/ocean-climate/new-expedition-tara-pacific/

 

Bildnachweise

Seite 1 – Anna Roik

Seite 4  – Tara Pacific

Seite 8 – 1: Vincent Hilaire, 2: Vincent Hilaire, 3: Claudia Pogoreutz , 4: Claudia Pogoreutz, 5: Ryan McMinds

Seite 11  – Pete West

Seite 22  – 1: Vincent Hilaire, 2: Pete West , 3: Pete West, 4: Claudia Pogoreutz