Ptydepe oder das unheilvolle Zusammenspiel von Sprache und Macht

Mit seiner schwungvollen Inszenierung von Václav Havels „Die Benachrichtigung“ begeistert das Unitheater Konstanz sein Publikum. Und macht gleichzeitig nachdenklich über Macht und die sozialen Dynamiken, die sie auslöst.
© Cecilia Amann

Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eines Morgens eine Nachricht in einer fremden Sprache, nur um zu erfahren, es handle sich um eine neu eingeführte Amtssprache. Mehr noch, alle anderen haben sich bereits die neue Sprache angeeignet, nur Sie nicht. So erlebt es Josefine Groß, Direktorin (irgend-)eines Amtes, eine selbstbewusste Frau und in ihrer Position ausgestattet mit Macht, Befugnissen und Privilegien. Das sei eine wichtige Benachrichtigung in der neu eingeführten Amtssprache Ptydepe, weiß ihr Sekretär zu berichten. Indes übersetzen dürfe er das Schriftstück nicht. Dies ist der Ausgangspunkt von Václav Havels absurdem Drama „Die Benachrichtigung“, welches das Unitheater Konstanz vom 18. bis 23. November unter der Regie von Theaterleiterin Cecilia Amann an der Universität Konstanz aufführte.

Zunächst noch belustigt, doch zunehmend verzweifelt versucht Groß – famos dargestellt von Marie Puschmann –, den Inhalt der Benachrichtigung zu ergründen, und landet dabei erst einmal im Ptydepe-Seminar. Auf der Bühne ist dies sehr kreativ umgesetzt als Online-Seminar mit TeilnehmerInnen auf Bildschirm-Videos (Video-Regie: Kaja Brenner). Das ist das Reich des völlig abgehobenen Ptydepe-Meisters (Niko Hönig), der lehrt: Ptydepe sei eine präzise, nur auf wissenschaftlichen Kriterien basierende Sprache, die die Unklarheit natürlicher Sprachen endlich abschaffe. Mit der Konsequenz, dass das längste Wort, nämlich das für Flussschwalbe, über 300 Buchstaben hat und es im Endeffekt niemand schafft, die Sprache richtig zu erlernen. Hier ein Seitenhieb auf die Wissenschaft.

Auch im Übersetzungsbüro läuft der Versuch der Direktorin, eine Übersetzung der Benachrichtigung zu erhalten, ins Leere. Denn die Voraussetzung dafür hängt von weiteren Bedingungen ab, paradoxerweise allesamt untereinander verschränkt und somit nicht auflösbar.

© Claudia Marion Voigtmann

Doch wer steckt hinter dieser Benachrichtigung? Was sind die wahren Motive dafür? Vizedirektorin Balas (als raffinierte Gegenspielerin großartig gespielt von Annika Siewert) hält nicht lange hinter dem Berg, dass sie nicht nur die Anweisung zur Einführung von Ptydepe gegeben hat, sondern auch aufgrund einer Intrige Direktorin Groß in der Hand hat: Groß könne sich nun dem Willen der Masse nicht mehr widersetzen. Als Groß aufgibt und ihren Posten zugunsten von Balas räumt, zeigt sich das Wesen der ihr Untergebenen im Amt – die einen intrigant, die anderen opportunistisch, wieder andere schlicht zu träge, um tätig zu werden. Sehr pointiert und geschickt entlarven die jungen SchauspielerInnen des Unitheaters die Schwächen ihrer Charaktere in einem Mikrokosmos, der repräsentativ für eine soziale Gemeinschaft unter einem Staatsappart stehen kann.

Die Wende wird schließlich dadurch herbeigeführt, dass der junge Sekretär Marvin (Jakob Sanowski) als einziger autonom handelt und den Inhalt der Benachrichtigung trotz des Verbots übersetzt. Die Nachricht stellt sich als Lob dafür heraus, dass Groß sich gegen die Einführung von Plansprachen wie Ptydepe ausgesprochen hatte. Zeitgleich erkennt die neue Direktorin Balas, wie trügerisch und wackelig die Macht in Spitzenpositionen ist, sodass sie nach Aufforderung ihren Posten relativ bereitwillig wieder an Groß zurückgibt. Der Status quo zu Beginn des Stückes ist wieder hergestellt, die DarstellerInnen in ihren phantasievollen Kostümen tanzen von der Bühne: zum Höhepunkt des Bürotags, dem Mittagessen.
Ende gut, alles gut? Nur oberflächlich gesehen, denn die Stimmung richtet sich nun gegen den integren Marvin, den die Direktorin, sich dem System nun vollends unterwerfend, fallen lässt. Indem sie dies tut, verliert sie ihre Integrität und auch die Humanität, auf die sie sich während des Stückes immer wieder berufen hat.

„‚Die Benachrichtigung‘ ist auch und vor allem eine scharfsinnige und bitterböse Analyse dessen, was für Havel die conditio humana ist, eine Analyse des unbedingten, vorbehaltlosen Strebens nach Macht der einen und der oftmals freiwilligen Unterordnung der anderen, ihres Schweigens, Wegsehens, Wegduckens.“

Miriam Finkelstein, Professorin für Slavische Literaturen und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz

Zusammen mit Bernhard Brehmer, Professor für Slavistische Sprachwissenschaft, gab Professorin Miriam Finkelstein den Anstoß zu dem Theaterstück und leitet parallel ein Seminar zum Thema Plansprachen in und aus Osteuropa. Zuletzt wird zwar Ptydepe als Amtssprache verworfen, jedoch – dem Absurden kein Ende – wartet schon die nächste synthetische Sprache und der Reigen kann von Neuem beginnen. So demonstriert das Stück anschaulich die Wechselwirkung zwischen Sprache und Macht, wie Sprache mit Macht einhergeht und sich Macht wiederum einer bestimmten Sprache bedient.

Unterhaltung mit Tiefgang, das beschert das Unitheater seinen Gästen in dieser gelungenen Inszenierung von Theaterleiterin Cecilia Amann. Hinreißend spielend nehmen die Studierenden ihr Publikum mit, bringen es zum Lachen, aber auch zum Nachdenken. 

„Unsere Proben und ihr Ergebnis sind ein Gemeinschaftswerk. Die Studierenden haben nicht nur ihre Rollen gespielt, sondern jede und jeder übernahm zusätzliche Aufgaben – derer es am Theater ja viele gibt: zum Beispiel die Regie bei den Videos, den Filmschnitt, den Plakatentwurf und die Technik. Es ist dieses Zusammenspiel, das die Vorstellungen einzigartig und die Arbeit im Unitheater zu so einem bereichernden Erlebnis für uns alle macht.“

Cecilia Amann, Leiterin des Unitheaters Konstanz

 

Fotografin des Porträts von Cecilia Amann: Ilka Richter. Copyright: Universität Konstanz

Claudia Marion Voigtmann

Von Claudia Marion Voigtmann - 03.12.2025