Der Informationskrieg in Russland

Kann die staatliche Medienkontrolle in Russland Erfolg haben? Politikwissenschaftler Prof. Dr. Nils B. Weidmann im Interview

Die russische Regierung kontrolliert – wie viele Autokratien zuvor – massiv die Landesmedien. Erreichen Autokratien damit ihre Ziele oder schädigen sie sich dadurch eher selbst?

 Nils B. Weidmann: Staatliche Kontrolle der Medien ist in der Tat ein wichtiges Merkmal autokratischer Staaten, und sie scheint häufig zu wirken. Mein Kollege Espen Rød und ich haben uns das näher angesehen und ein Buch zum Einfluss digitaler Kommunikation auf politischen Protest geschrieben (s.u.).

Man könnte meinen, dass das Internet die Menschen und die Meinungsäußerung freier macht. Aber das Gegenteil ist der Fall: Bessere Netzabdeckung geht in Autokratien mit weniger Protest einher. So weit geht die Kontrolle des Internets durch staatliche Organe. Regimekritische Information wird zensiert, staatliche Propaganda wird verbreitet.
 

Im russischen Staatsfernsehen war am Montagabend (14. März 2022, Information: s. u.) kurz eine Friedensaktivistin mit einem Protestplakat ins Bild vorgedrungen. Sie wurde anschließend festgenommen. Welche Möglichkeiten haben regimekritische Stimmen in Russland, sich überhaupt noch Gehör zu verschaffen?

Solche Möglichkeiten sind in den letzten Wochen fast ganz verschwunden – die Aktivistin, die eine Mitarbeiterin des Senders ist, konnte eine unkonventionelle Möglichkeit nutzen, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Durch eine neue Mediengesetzgebung wurde die Berichterstattung komplett auf Regierungslinie gebracht. Viele der unabhängigen lokalen Sender und Redaktionen wurden geschlossen. Es ist aber noch möglich, über digitale Kanäle international zu kommunizieren. Dadurch erfahren wir ja beispielsweise von den Protesten, die in vielen Städten gegen Putin stattfinden und die hart unterdrückt werden. Aber innerhalb von Russland werden regimekritische Stimmen fast nicht mehr gehört.
 

Welche Möglichkeit haben Akteure aus der westlichen Welt, Einfluss auf den „Informationskrieg“ zu nehmen, von dem in der Presse teils bereits die Rede ist?

Dieser „Informationskrieg“, der in geringerer Intensität ja schon jahrelang tobt, wurde viel zu lange vernachlässigt. Dafür hätte man Desinformationskanäle wie Russia Today vollständig blockieren müssen. Das sind Quellen systematischer Falschinformation – es ist daher wichtig, sie effektiv zu unterbinden. Auch auf dezentralen Plattformen wie z.B. Facebook oder Telegram müssen effektive Methoden der Moderation zum Einsatz kommen, damit sich Falschinformationen nicht weiterverbreiten.
 

Zur Person: Nils B. Weidmann ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz und Co-Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“. Er leitet die Forschungsgruppe „Communication, Networks and Contention“ und arbeitet über Protestbewegungen und Bürgerkriege sowie digitale Kommunikation und politische Mobilisierung.
Leseempfehlung: Nils B. Weidmann, Espen Geelmuyden Rød (2019): The Internet and Political Protest in Autocracies. Oxford University Press.


Dr. Paul Töbelmann

Von Dr. Paul Töbelmann - 15.03.2022