Ein Semester wie keines zuvor

Das digitale Sommersemester 2020 nahm seinen Auftakt. Was alles nötig war, um digitale Vorlesungen flächendeckend zu ermöglichen, wie die „ersten Schwimmzüge im kalten Wasser“ gelangen und warum wir uns ein „Recht zu scheitern“ zugestehen sollten, schildert Prof. Dr. Michael Stürner, Prorektor für Lehre, im Interview.


uni’kon: Am 20. April 2020 begann ein Semester wie keines zuvor: Sämtliche Lehrveranstaltungen der Universität Konstanz finden digital statt. Wie sind Ihre Erfahrungen aus den ersten Wochen?

Prof. Dr. Michael Stürner: Tatsächlich durchaus positiv! Wir waren alle gespannt, ob unser Server-Netz die zu erwartende hohe Auslastung würde schaffen können. Das ist mit gewissen Einschränkungen auch gelungen. Klar ist, dass es zu Spitzenzeiten immer wieder zu Engpässen kommen wird. Die Lehrenden sind mit großem Engagement in dieses digitale Sommersemester gestartet. Erste Rückmeldungen aus dem Kreise der Studierenden zeigen, dass dies sehr gut angenommen wird.

uni’kon: Was war nötig, um das digitale Semester möglich zu machen? Welche Vorbereitungen fanden im Hintergrund statt?

Michael Stürner: Der erste und wichtigste Schritt war, sich auf ein „digitales Sommersemester“ einzustellen.

„Wir haben sehr schnell entschieden, dass wir das schaffen können, auch wenn es einen ganz erheblichen Aufwand für viele Lehrende nach sich zieht.“

Prof. Dr. Michael Stürner, Prorektor für Lehre an der Universität Konstanz

Wir haben massiv in Hard- und Software investiert und sind dabei auch auf Wünsche und Anregungen seitens der Lehrenden und Studierenden eingegangen. Ganz konkret wurden etwa Lizenzen für Videokonferenzsysteme angeschafft. Die datenschutzrechtlichen Bedenken hinsichtlich einzelner Systeme haben wir adressiert, überlassen aber die Verwendung letztlich der Einschätzung jedes und jeder Einzelnen. Gleichzeitig standen wir in engem Kontakt mit den anderen Landesuniversitäten und auch mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) Baden-Württemberg in Stuttgart. Die für Baden-Württemberg geltende Corona-Verordnung war nicht immer leicht zu interpretieren, so dass hier eine ständige Abstimmung sehr wichtig war und ist.

uni’kon: Vieles musste ad hoc umgesetzt werden, doch die Universität Konstanz war nicht unvorbereitet: Die neuen Digitalisierungsmaßnahmen gliedern sich in die umfassende E-Science-Strategie der Universität Konstanz im Rahmen der Exzellenzstrategie ein. Was bedeutet die Corona-Situation für die langfristige Digitalisierungsstrategie der Universität speziell im Bereich Studium und Lehre?

Michael Stürner: Richtig, wir verfolgen seit einiger Zeit eine umfassende E-Science-Strategie für Forschung, Lehre und Verwaltung. Auch insofern wird sich der derzeit betriebene Extraaufwand sicherlich auszahlen. Einerseits werden wir viele Erfahrungen, für die wir ansonsten Jahre benötigt hätten, nunmehr innerhalb weniger Monate und damit gewissermaßen im Zeitraffer gemacht haben. Andererseits wird diese „Rosskur“ in Sachen digitaler Lehre – auch auf Seiten der Studierenden – eine Vertrautheit mit neuen Lehrformaten mit sich bringen, von der wir langfristig nur profitieren können.

„Wichtig ist, dass wir den „Drive“ aus diesem Semester in die Zeit nach den Corona-Beschränkungen mitnehmen und uns nicht frustrieren lassen von Dingen, die am Anfang vielleicht noch nicht so gut funktionieren.“

Prof. Dr. Michael Stürner, Prorektor für Lehre an der Universität Konstanz


uni’kon: Der digitale Lehrmodus stellt neue didaktische Herausforderungen und erfordert neue Formate. Welche persönlichen Empfehlungen können Sie den Lehrenden geben?

Michael Stürner: Hier kann ich nur wiederholen, was bereits von Beginn an in den ersten Handreichungen zur digitalen Lehre kommuniziert wurde: Die allermeisten von uns wurden durch die Corona-Krise und die Umstellung auf digitale Lehrformate gewissermaßen ins kalte Wasser geworfen. Niemand erwartet, dass die ersten Schwimmzüge, um im Bild zu bleiben, besonders elegant aussehen.
Manche Ideen werden sich als undurchführbar herausstellen oder schlicht an der mangelnden Bandbreite des Netzes scheitern. So kann die schlichte digitale Replizierung der 90-Minuten-Auftritte im Hörsaal nicht die Lösung bringen. Wir sollten uns selbst ein „Recht zu scheitern“ zugestehen, also auch mit nicht perfekten Ansätzen starten. Rückmeldungen aus dem Kreis der Studierenden können in vielerlei Hinsicht zur Verbesserung beitragen, aber wir müssen sie auch einfordern!


uni’kon: Begleitend zu den digitalen Lehrveranstaltungen möchten Sie eine Evaluation durchführen. Was sind deren Ziele?

Michael Stürner: Die Evaluation soll in diesem Semester etwas anders verlaufen als sonst – mit einer anderen Zielrichtung, einem angepassten Fragebogen und natürlich online. Wichtig ist uns ein formatives Vorgehen, das die gesammelten Erfahrungen systematisch aufnimmt, um für die Zukunft der digitalen Lehre zu lernen. Wir möchten herausfinden, welche Ansätze besonders gut funktionieren und weiterverfolgt werden sollten und was sich weniger bewährt hat. Zusätzlich zu unserer Lehrveranstaltungsevaluation wird es deswegen auch eine angepasste Studierendenbefragung „Sag’s uns! Spezial“ zum digitalen Semester geben, welche systematisch die Erfahrungen der Studierenden in diesem Semester abbildet.

Schließlich soll am Ende des Semesters eine zusätzliche Befragung der Lehrenden bezüglich deren Erfahrungen mit digital unterstützter Lehre stattfinden. Durch die Zusammenführung der verschiedenen Perspektiven versprechen wir uns – auch im Sinne der bereits angesprochenen E-Science-Strategie der Universität Konstanz – wertvolle Erkenntnisse.

Jürgen Graf

Von Jürgen Graf - 14.05.2020

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