„Ich denke einfach gern“

Warum ein Schülerstudium an der Universität Konstanz fachlich und persönlich weiterbringt und warum sich viel mehr Schüler und Schülerinnen trauen sollten.

Die Darstellung von klugen oder hochbegabten Menschen in Hollywood-Filmen findet Felix Hummel lustig. All die Genie-Stereotypen. Der heute 32-jährige Mathematiker ist während seines Schülerstudiums von 2008 bis 2010 an der Universität Konstanz zu einem ganz anderen Schluss gekommen, zu einem in der Tat erstaunlichen: Engagement sei viel wichtiger als irgendeine Hochbegabung.

„Der Unterschied zwischen begabten und weniger begabten Menschen ist gar nicht so groß. Ich glaube, dass ein Schülerstudium mehr Leute machen könnten, als man denkt!“

Felix Hummel

Engagiert sind Julia Jäger, Chiara Cimino und Neil Schaar auf jeden Fall, so begeistert, wie die SchülerInnen über das sprechen, was sie in den Seminaren und Vorlesungen an der Universität Konstanz lernen. Julia Jägers „Leidenschaft“, wie sie es selbst nennt, ist die Rechtswissenschaft. Aktuell nimmt sie bereits im fünften Semester an Lehrveranstaltungen teil. Im Gegensatz zu regulären Jura-Studierenden ist sie nicht an Lehrpläne gebunden. „Ich genieße es, solange ich noch kann, dass ich mir im Schülerstudium die Veranstaltungen frei aussuchen kann“, sagt die Schülerin aus Oberteuringen, einem kleinen Ort nahe Friedrichshafen.

Chiara Cimino aus Fridingen bei Tuttlingen ist erst 16 Jahre alt und studiert schon seit zwei Jahren als Schülerin Mathematik. An der Universität Konstanz gibt es kein Mindestalter für das Schülerstudium. Über die Uni-Homepage ist sie drauf gestoßen. „Ich finde es cool, dass die Uni so etwas wie das Schülerstudium anbietet und dass die Schülerinnen und Schüler einen Einblick ins Uni-Leben bekommen.“

„Mathematik hat mir einfach Spaß gemacht, und ich wollte mehr wissen und noch mehr lernen.“

Chiara Cimino

Neil Schaar kommt von Singen angefahren und belegt Lehrveranstaltungen im Studiengang Literatur – Kunst – Medien. Er ist so fasziniert von dem Fach, dass es ab und zu den Anschein haben könnte, er sei intensiver vorbereitet als seine KommilitonInnen im regulären Studium. Besonders die Diskussionen mit den Mitstudierenden sind für ihn wichtig, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Seminare. Mediävistik, Moderne, Postmoderne – das sind seine Favoriten.

„Es macht viel Spaß, wenn man Gleichgesinnte findet, mit denen man über Fachliches reden kann.“

Neil Schaar

Wie für Julia Jäger ist seine Welt die Universität. Beide stehen kurz vor dem Abitur. In einem geisteswissenschaftlichen Fach eher in kleineren Seminaren unterwegs hat er von den dreien wohl den meisten Kontakt zu seinen Mitstudierenden und den Dozierenden: „Ich bin voll integriert, das finde ich bemerkenswert.“ Als ihm ein Dozent eine Hiwi-Stelle anbot, hat dieser erst bemerkt, dass es sich bei Neil Schaar um einen Schüler handelt.

Für Ulrike Leitner, die Studienberaterin, die das Schülerstudium an der Universität Konstanz aufgebaut hat und auf 15 Jahre stetiger Weiterentwicklung zurückblicken kann, ist das eine klare Sache. Mit ihrer Überzeugung – „Wenn man als SchülerIn tiefer in eine Materie einsteigen will, ist die Universität das, was einen wirklich weiterbringt“ – bezieht sie sich auf junge Menschen mit überdurchschnittlichem Interesse, nicht unbedingt Hochbegabung. Vor allem das Ausprobieren ist ihr wichtig.  „Manche sagen: ‚Ich denke einfach gern, und ich möchte für mich rausfinden, denke ich gern in naturwissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher oder geisteswissenschaftlicher Richtung‘.“

Was ist das Schülerstudium?
Das Schülerstudium ist ein zusätzliches Bildungsangebot für Schülerinnen und Schüler mit Engagement und Leistungsreserven. Die SchülerInnen nehmen an regulären Veranstaltungen für Studierende teil, also beispielsweise an Vorlesungen, Seminaren und Übungen, und legen freiwillig die entsprechenden Prüfungen ab. Im Schülerstudium erworbene Leistungsnachweise werden bei fachlicher Gleichwertigkeit in einem späteren regulären Studium anerkannt.
 

Die drei haben bereits herausgefunden, in welche Richtung sie am liebsten denken. Alle drei möchten in ihrem Fach bleiben. Die Qual der Wahl hat Julia Jäger innerhalb der Rechtswissenschaft: „Alles ist wahnsinnig interessant, Familienrecht, Strafrecht sowieso, öffentliches Recht, Grundrechte. Nach jedem Semester denke ich, das könnte es werden, dann starte ich ein neues Semester, belege neue Fächer und stelle fest, das könnte es auch werden.“

Die Studienberaterin Ulrike Leitner rät den Schülerstudierenden sehr dazu, Prüfungen mitzumachen – zu denselben Konditionen wie die regulär Studierenden. Neil Schaar hat schon einige Prüfungserfahrung hinter sich und auch schon reichlich Punkte gesammelt, die er sich anrechnen lassen könnte, würde er sich nach dem Abitur an der Universität Konstanz einschreiben. Diese Möglichkeit ist jedoch von Fach zu Fach verschieden. Julia Jäger könnte es in den Rechtswissenschaften zum Beispiel nicht. Ein Zertifikat pro Semester bekommen jedoch alle.
Felix Hummel wurden alle seine – übrigens bestens bestandenen – Prüfungen für sein späteres Mathematikstudium an der Universität Konstanz anerkannt. Er hätte sein Studium damit verkürzen können, hat sich aber für einen anderen Weg entschieden:

„Ich habe mir Zeit gelassen und bin nach Shanghai.“

Felix Hummel

Er war der Erste, der das Double Degree-Programm des Konstanzer Fachbereichs Mathematik und der Jiao Tong University erfolgreich absolvierte. Dass er bereits die meisten Credits fürs Studium beisammenhatte, hat „im Studium viel mehr Raum geschaffen, gerade für das Auslandsjahr“, wie er sagt. An sein Studium an der Universität Konstanz fügte er hier noch eine Promotion an.

Wer sich für ein Schülerstudium entscheidet, muss neben Engagement vor allem Zeit mitbringen. „Das Schülerstudium nimmt für mich so viel Zeit in Anspruch wie für andere Volleyball oder Fußball“, sagt Julia Jäger. Wenn sie von Oberteuringen an die Universität kommt, ist für eine Fahrt schnell mal eine Stunde weg. In Jura hat sie allerdings die Möglichkeit, sich viel selbstständig online, zum Beispiel über Podcasts, anzueignen. Chiara Cimino belegt aktuell nur Online-Veranstaltungen. Fünf bis sieben Stunden investiert sie in der Woche für Vorlesungen und Tutorien. Setzt sie sich in Fridingen in den Zug nach Konstanz, können es 14 Stunden die Woche sein, die sie für die Mathematik investiert.

https://youtu.be/-mRwx_EMeBg?si=8X4Rj6hdJkCOk9T7

Bei Neil Schaar variiert es, letztes Semester hat er seine Lehrveranstaltungen so gelegt, dass er den ganzen Tag an der Uni sein konnte. „Das war schön“, sagt er. Sein Gymnasium hat ihn dafür vom Unterricht freigestellt. Die Schulen sind kooperativ, auch wenn sie darauf achten, dass so wenig Unterricht wie möglich für die Schülerstudierenden ausfällt.

Und was bringt das alles? Viel, wenn man ihnen zuhört, nicht nur für die fachliche Kompetenz. „Selbstständig lernen und das zu lernen, was einem Spaß macht, Zeitmanagement, Organisation“, zählt Chiara Cimino an Soft Skills auf.

„Ich freue mich wahnsinnig auf mein Studium, weiß aber nicht, ob meine Begeisterung so groß wäre, wenn ich das Schülerstudium nicht gemacht hätte.“

Julia Jäger

Neil Schaar pflichtet ihr bei: „Es ist ein großes Ding, dass man bei einer Sache angekommen ist, die einen fordert und bereichert. Dass man Enthusiasmus hat für das, was man tut.“

Felix Hummel hat rückblickend erkannt: „Das Schülerstudium hat mir sehr dabei geholfen, das Selbstvertrauen zu entwickeln, dass man Dinge, die kompliziert aussehen, hinkriegen kann.“ Er ist sich sicher, dass man „auch bildungspolitisch gesehen Schülerinnen und Schülern mehr zutrauen kann, als ihnen zugetraut wird“.
 

Maria Schorpp

Von Maria Schorpp - 15.12.2023