„Verständnis schaffen“: Genderkompetenz in Studium, Lehre und Weiterbildung

Das Projekt Gender in der Lehre (GiL) zur Integration von Genderkompetenz in Studium, Lehre und hochschuldidaktischer Weiterbildung an der Universität Konstanz geht nach erfolgreichen fünf Jahren zu Ende. In diesem Artikel beleuchten wir den Beitrag, den das Projekt auf verschiedenen Ebenen an der Universität geleistet hat.

Zwischen der auf Bundesebene erfolgten Anerkennung von Genderidentitäten jenseits des binären Geschlechtersystems und der in konservativen Kreisen propagierten Kritik an der sogenannten „Gender-Ideologie“ sorgt das Thema Gender auch nach mehreren Jahrzehnten gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Debatte – etwa im Rahmen der Gender Studies – für Diskussionen. An der Universität Konstanz hat sich das Projekt „Gender in der Lehre“ des Themas Gender unter dem besonderen Gesichtspunkt der universitären Lehre und hochschuldidaktischen Weiterbildung angenommen.
 
Zur konkreten Zielsetzung gehörten dabei beispielsweise die Aufnahme von Genderaspekten als Bestandteil der universitären Qualitätssicherung, die Steigerung von Genderkompetenz in Berufungsverfahren, die Integration von Genderkompetenz in der Weiterbildung des Lehrpersonals oder auch die Sensibilisierung von universitären Gremien und Zielgruppen.

Die Finanzierung des Projekts „Gender in der Lehre“ erfolgte in den Jahren 2014 bis 2019 über das Professorinnenprogramm II des Bundes und der Länder.
 

Genderkompetenz für Studierende und Lehrende

In ihrem Gender-Kodex sowie im Kodex für gute Lehre verpflichtet sich die Universität Konstanz zur geschlechtergerechten Gestaltung ihres Lehrangebotes. Diese Selbstverpflichtung umfasst sowohl didaktische Fragestellungen als auch die Berücksichtigung von Gender- und Diversity-Themen sowie Erkenntnissen aus der Genderforschung bei den Lehrinhalten. Warum das Thema gerade für die Lehre von zentraler Bedeutung ist, erklärt Michaela David vom Referat für Gleichstellung, Familienförderung und Diversity (RGFD), die das Projekt „Gender in der Lehre“ geleitet und gemeinsam mit Dr. Susanne Brüggen, Referentin für Hochschuldidaktik, umgesetzt hat: „Genderkompetenz ist ein wichtiges Qualitätskriterium für gute Lehre. Ein wichtiger Aspekt im Rahmen des Projektes war, mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz von Genderkompetenz zu schaffen und Genderwissen in Lehrinhalte zu integrieren.“

„Der Begriff Gender steht für das Geschlecht als soziale Kategorie, also für gesellschaftliche und kulturelle Zuschreibungen und Festlegungen. Genderkompetenz bezeichnet zum einen das Wissen über Geschlechterverhältnisse und deren Ursachen sowie zum anderen die Fähigkeit, dieses Wissen im alltäglichen Handeln anzuwenden und auf individueller Ebene zu reflektieren.“

Aus der Handreichung „Genderkompetenz in der Lehre“

 

Die Ausschreibung „Gender in der Lehre“

Mit dem Projekt sollten auf dieser Grundlage an der Universität Konstanz auf individueller wie struktureller Ebene Gender- und Diversitykompetenzen geschaffen und erweitert werden. Dieses Vorhaben wurde seit dem Wintersemester 2017/2018 zu großen Teilen im Rahmen der Projekt-Ausschreibung „Gender in der Lehre“ realisiert. Startschuss war im November 2016 eine Fishbowl-Diskussion rund um das Thema „Geschlecht – alles Bio? Ein Spannungsfeld wissenschaftlicher Disziplinen“: „Es ging uns darum, biologistische Sichtweisen zu hinterfragen und den Mehrwert anderer Perspektiven herauszuarbeiten“, erinnert sich Michaela David. „Wir wollten mit einem umfassenden Verständnis von Gender an der Universität starten: Was ist damit gemeint? Gibt es unterschiedliche Herangehensweisen? Worin liegt deren Mehrwert?“ Dieser ersten öffentlichen Diskussion folgten insgesamt 15 weitere Initiativen zur Vermittlung von Genderkompetenz und -wissen in der Lehre.
 
Diese wurden mit bis zu 2.000 Euro in verschiedenen Fachbereichen gefördert. Beispiele sind eine feministische Schreibwerkstatt für Ethnografinnen und Ethnografen, eine Vortragsreihe des Fachbereichs Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft zur kulturellen Inszenierungen von Transgender- und Crossdressing-Figuren, ein Seminar zum Thema feministische soziale Erkenntnistheorie, eine Ringvorlesung zu „Gender Ru(o)les“ in Bildung und Gesellschaft sowie ein Vertiefungsseminar zum Zusammenhang zwischen „Gender, Violence and Global Politics“. Die Veranstaltungen und eine Auswahl weiterer Initiativen, von denen einige mittlerweile verstetigt worden sind, sind auf der Projekt-Website des Referats für Gleichstellung, Familienförderung und Diversity beschrieben.
 

Praxisbeispiel: Genderaspekte in der Rechtswissenschaft

Wie die Berücksichtigung von Genderaspekten die Lehre bereichern und erfolgreich in Lehrinhalte umgesetzt werden kann, erläutert Prof. Dr. Liane Wörner, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie an der Universität Konstanz am Beispiel der Rechtswissenschaft. Im Wintersemester 2019/2020 betrachtet sie aktuell im Rahmen ihrer Vorlesung „Strafrechtsvergleichung“ mit ihren Studierenden das Strafrecht als Spiegel der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Dabei spielen sowohl historische wie aktuelle Vergleiche verschiedener Strafrechtstraditionen weltweit eine Rolle.
 
„Der Strafrechtsvergleicher beobachtet und bewertet nicht oder vorsichtig erst ganz zum Schluss“, so Wörner. „Ich verbleibe in der Beobachtung der einzelnen Rechtsordnungen und deren Erforschung, bevor ich ‚bewerte‘, welchen Status die einzelnen Strafrechte tatsächlich haben und bevor ich Vergleichsparameter endgültig bestimme. Meine Studierenden sollen durch dieses Projekt vor allem auch lernen, warum diese Zurückhaltung wichtig ist. So wäre eine Aussage, dass die Frau im muslimischen Recht weniger Rechte hat und damit durch das Strafrecht weniger geschützt ist, zu kurz gegriffen. Diese Sensibilisierung möchte ich erreichen.“
 

https://youtu.be/HbNlD0sPm-w

 
© Universität Konstanz/Ines Njers

Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UW-Madison) ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie an der Universität Konstanz. Sie wurde 2009 an der Universität Gießen promoviert und habilitierte sich 2017 zum Thema „Widersprüche beim strafrechtlichen Lebensschutz? – Überlegungen zu einem konsistenten strafrechtlichen Schutz des Lebens vorgeburtlich in vitro, vorgeburtlich in utero, bei Sterbehilfe und bei der Hilfe zur Selbsttötung“. In ihren Forschungen untersucht sie das Straf- und Strafprozessrecht vor allem aus seiner internationalen Perspektive und wirft Fragen der Weiterentwicklung der Dogmatik, der Strafrechtsvergleichung und ihre Methodiken, der strafverfassungsrechtlichen Entwicklung und der rechtstheoretischen Begründung auf. 2011 erhielt sie dafür den Preis für besondere Verdienste um die Internationalisierung der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Seit 2017 engagiert sich Liane Wörner aktiv interdisziplinär im Global Diplomacy Lab (GDL). Sie ist Mitglied in mehreren Forschungsnetzwerken, unter anderem zur Strafrechtsvergleichung, zum vergleichenden Strafverfassungsrecht und zur (Straf)Rechtstheorie. Seit 2019 ist sie Teil des Scientific Committee der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (AIDP/IAPL). Liane Wörner ist Sektionsgleichstellungsbeauftragte der Sektion Politik-Recht-Wirtschaft an der Universität Konstanz.


 

„Mit dem Thema Gender im Strafrecht haben wir einen Aspekt aus dieser enorm großen Debatte herausgegriffen und viele kleine Gesichtspunkte angeschaut. Es gibt aber unzählige weitere Aspekte, die noch aufzuarbeiten sind.“

Jana Rapp, studiert im fünften Semester Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz

 
Unter den Studierenden hat die Vorlesung sowohl privat wie auch im Studium zu einem Umdenken geführt, berichten Sanija Osterloff und Jana Rapp. Beide studieren Rechtswissenschaft im fünften Semester und haben die Vorlesung von Liane Wörner seit dem Sommersemester 2019 als studentische Hilfskräfte unterstützt.
 
https://youtu.be/m3voH18rgW8

 

„Vor dem Projekt habe ich die Gender-Diskussion, die sich viel um Sprache dreht, fast schon als ermüdend empfunden. […] Das Projekt von Frau Wörner packt das Problem bei der Wurzel […]. Es bringt einen weiter.“

Sanija Osterloff, studiert im fünften Semester Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz

 

Gastprofessuren für Gender Studies

Als Teil des Projektes „Gender in der Lehre“ wurden neben den oben beschriebenen Lehrprojekten insgesamt fünf Gender-Gastprofessuren eingerichtet, um die intersektionale Perspektive aus den Diversity Studies – mit Fokus auf Gender in der Lehre – in die Fachdisziplinen einzubringen und dort zu verankern. Ziel war einerseits, Studierenden Genderkompetenz zu vermitteln und die wissenschaftlich geleitete Reflexion über Geschlechterverhältnisse anzuregen sowie die Lehre mit Inhalten aus der Genderforschung anzureichern. In Fachbereichen mit einem geringen Anteil an Wissenschaftlerinnen sollten die Gast-Professorinnen andererseits als Vorbilder für Studentinnen fungieren, um sie für eine wissenschaftliche Laufbahn zu motivieren.
 
Die Gastprofessuren waren zeitlich befristet und auf einen Umfang von jeweils drei Lehrveranstaltungen begrenzt. Mit Fokus auf Gender Studies wurden Gastprofessuren in der Philosophie, Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft und Soziologie eingerichtet, eine weitere Gastprofessur mit Fokus auf Frauenförderung bzw. Role Models wurde in der Biologie etabliert. Zu den im Rahmen der Gender-Gastprofessuren durchgeführten Seminaren gehörten unter anderem Veranstaltungen zu Themen wie „Einführung in die Gender Studies“, „The (Post)Modern City as a Gendered Space: A Literary and Filmic History“, oder „Bilder von Migration und Flucht“.
 
Das Entscheidungsgremium sowohl bei der Ausschreibung zur Gender-Gastprofessur als auch bei der Ausschreibung „Gender in der Lehre“ war der Gleichstellungsrat der Universität Konstanz.
 

Genderkompetenz in der hochschuldidaktischen Weiterbildung

Ein weiterer Ansatzpunkt des Projektes war die hochschuldidaktische Weiterbildung: Ziel war, insbesondere auch Lehrende auf das Thema Gender aufmerksam zu machen und ihnen aufzuzeigen, welche Ansatzpunkte es für eine geschlechtergerechte Gestaltung der Lehre gibt. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Handreichungen erarbeitet, unter anderem zur „Genderkompetenz in der Lehre“, sowie die Methodensammlung „Gute Lehre für alle“. Diese stehen auf den Websites der Hochschuldidaktik zur Verfügung.


 
Daneben wurden zwei weitere Handreichungen entwickelt: Der Ratgeber  „Genderbewusste TrainerInnenauswahl“ richtet sich zunächst an die Referentinnen und Referenten im Academic Staff Development der Universität Konstanz und dient als Orientierung für die Auswahl von geeigneten Trainerinnen und Trainern. Er kann von anderen Serviceeinrichtungen angepasst werden und zeigt auf, wie sich Genderkompetenz konkretisieren und mit Hilfe bestimmter Kriterien identifizieren lässt. Die Handreichung „Genderkompetenz in der hochschuldidaktischen Weiterbildung“ gibt externen Trainerinnen und Trainern Anregungen, wie sich hochschuldidaktische Weiterbildungsangebote genderkompetent gestalten lassen.
 

„Geschlechtergerechte Lehre trägt zur Qualitätssteigerung der Lehre bei, denn sie gibt ihren Lehrenden und Lernenden Methoden an die Hand mit sozialer und kultureller Vielfalt umzugehen und diese zu nutzen. Studien haben gezeigt, dass Lehrveranstaltungen, welche von Lehrenden mit einem hohen Genderbewusstsein und einer fundierten Genderkompetenz durchgeführt wurden, signifikant als interaktiver, ermutigender und respektvoller bewertet wurden.“

Hille & Unteutsch, 2013, S. 9

 
Im Zuge dieser Weiterbildungsschiene wurden außerdem Genderaspekte in das Baden-Württemberg-Zertifikat für Hochschuldidaktik integriert und der Grundlagenkurs „Fit für die Lehre“ neu konzipiert.
 

Am 18. März 2020 findet in H309 ein Workshop mit anschließender vierwöchiger Online-Phase für Lehrende zum Thema „Gute Lehre für alle – Lehrveranstaltungen diversitätssensibel planen und durchführen“ statt. Marion Degenhardt, akademische Mitarbeiterin und Trainerin von der Pädagogischen Hochschule Freiburg, erarbeitet mit den Teilnehmenden folgende Fragestellung: Wie können Lehrende die Diversität Ihrer Studierenden in den unterschiedlichen Dimensionen wahrnehmen und sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung von Lehrveranstaltungen adäquat berücksichtigen? Der Workshop vermittelt Vielfalt als (Lern-)Chance und eröffnet den Teilnehmenden Wege und Möglichkeiten, diversitätssensible Lernumgebungen zu gestalten. In der anschließenden Online-Phase werden die Teilnehmenden individuell bei der Weiterplanung und Durchführung ihrer eigenen Projekte von der Trainerin beraten und unterstützt.
 
Der kostenpflichtige Workshop ist anrechenbar für das Hochschuldidaktik-Zertifikat Modul II, Themenbereich 1 oder 3 (12 AE). Weitere Informationen zum Workshop und den Teilnahmekonditionen erhalten Sie auf den Seiten des ASD. Die Anmeldung erfolgt nach Login beim Hochschuldidaktikzentrum.


 

Beyond Gender: Inklusive Sprache

Aus dem Projekt „Gender in der Lehre“ ist 2019 die universitätsweite Arbeitsgruppe „Inklusive Sprache“ hervorgegangen, die sich aktuell mit den Umsetzungsbeispielen und Anlagen der „Leitlinie zu inklusiver Sprache“ an der Universität Konstanz beschäftigt. Hintergrund ist die als Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gefallene Entscheidung des Bundestages, die dritte Geschlechtsoption „divers“ im Geburtenregister aufzunehmen.
 
Da vom Gesetzgeber in der Folge keine Empfehlungen zur sprachlichen Umsetzung ausgesprochen wurden, obliegt es den betroffenen Stellen selbst, geeignete Sprachregelungen zu erarbeiten und zu implementieren. Als staatliche Universität des Landes Baden-Württemberg ist auch die Universität Konstanz von der Gesetzesänderung betroffen. Die von den Mitgliedern der AG aus Wissenschaft, Verwaltung und Studierendenschaft entwickelte Leitlinie zur inklusiven Sprache wird in ihrer finalen Fassung allen Mitgliedern der Universität klare Empfehlungen und Richtlinien zum sprachlichen Umgang mit dem dritten Geschlecht an die Hand geben.

Dr. Tullia Giersberg und Simone Müller

Von Dr. Tullia Giersberg und Simone Müller - 28.02.2020