Interview mit Reto Schärli: „Ich bin ein musikalischer Universaldilettant.“

Zum Start des Wintersemesters begrüßte die Universität Konstanz den neuen Universitätsmusikdirektor Reto Schärli als Nachfolger von Peter Bauer. Im Gespräch erzählt der Schweizer Dirigent von seinem Werdegang und welches Programm er für sein erstes Semester an der Universität Konstanz geplant hat.
© Konstantin Skomorokh

Herr Schärli, Sie wurden an der Zürcher Hochschule der Künste als Dirigent und Orchesterleiter ausgebildet und leiten seitdem hauptberuflich andere Musiker an. Wussten Sie schon immer, dass sie Dirigent werden möchten?

Ich komme aus keiner besonders musikalischen Familie, dennoch war mir bereits im frühen Kindesalter klar, dass ich mein Leben der Musik widmen möchte. Klassische Musik und insbesondere Orchestermusik hat mich dabei schon immer fasziniert. Als ich im Grundschulalter dann zum ersten Mal etwas von Mozart gehört habe, fragte ich prompt meine damalige Musiklehrerin, ob ich etwas von diesem Komponisten auf der Blockflöte spielen dürfte. Ab diesem Zeitpunkt ist mein Interesse ganz natürlich gewachsen – die Musik hat sich mir in diesem Sinne regelrecht aufgedrängt. Spätestens mit Eintritt ins Gymnasium wusste ich dann, dass ich Dirigent werden möchte.

Was zeichnet Sie als Dirigent und Chorleiter aus?

Insgesamt gibt es kein Patentrezept, um ein guter Dirigent zu werden – Menschen mit unterschiedlichen instrumentalen und vokalen Hintergründen beginnen ein Dirigierstudium. Ich persönlich war nie ein expliziter Instrumentalist. Dabei ist das Klavier, das ich mir bis ins Alter von 15 Jahren autodidaktisch beigebracht habe und das später an der Musikhochschule zu meinem Hauptinstrument wurde, bis heute ungemein nützlich für eine erfolgreiche Chor- und Orchesterarbeit. Später kam neben einer musiktheoretischen Ausbildung das Violoncello dazu.

„Ein breites Verständnis für verschiedene Orchesterinstrumente ist meines Erachtens nach sehr wichtig, um als Orchesterleiter zu verstehen, welche Arbeit die jeweiligen Musiker in ihre Instrumente stecken. Durch diese Vielseitigkeit bin ich dadurch – scherzhaft ausgedrückt – zum musikalischen Universaldilettanten geworden. Gleichzeitig bewahre mir dadurch meinen großen Respekt vor den Musikern, die eine gewisse technische Perfektion auf ihrem Instrument anstreben.“

Welche Bedeutung hat Musik in Ihrem Leben?

Da ich mich hauptberuflich mit Musik beschäftige und intensiv verschiedene Stücke unterschiedlichster Komponisten studiere, genieße ich es manchmal, wenn in meiner Freizeit Musik eine weniger große Rolle spielt. Mein musikalisches Repertoire versuche ich nichtsdestotrotz auch privat breit zu halten – von der Renaissance bis hin zu zeitgenössischem Pop gibt es viele verschiedene Musikstile, die mich interessieren. 

© privat

Neben dem Universitätschor und -orchester leitet Reto Schärli noch weitere Chöre und Orchester – u.a. in Winterthur und Freiburg.

Gibt es denn einen bestimmten Komponisten, der Sie ganz besonders inspiriert?

Im Idealfall ist es immer die Person, deren Stück ich gerade am intensivsten studiere. Durch das Beschäftigen mit dem jeweiligen Künstler wächst auch das Interesse an biographischen Hintergründen und an weiteren musikalischen Werken. In letzter Zeit haben mich insbesondere die Stücke des tschechischen Komponisten Antonín Dvořák bewegt.

Im Wintersemester inszenieren Sie gemeinsam mit dem Universitätschor sein Werk „Stabat mater“.

Ganz genau. Ich habe das Stück bereits selbst in einem Chor gesungen und wollte es schon immer aufgrund seiner emotionalen Charakteristik als Dirigent erarbeiten. Es ist ein stark autobiographisch gefärbtes Werk von Dvořák, der in diesem den frühen Tod gleich dreier seiner Kinder verarbeitet. Anders als andere Kirchenmusik des Künstlers war dies keine Auftragsarbeit für die Kirche, sondern wurde aus einem inneren Impuls heraus komponiert. Dieser Hintergrund ist wichtig, um die Musik und den liturgischen Text zu verstehen, der die Mutter Jesu in ihrem Schmerz um den gekreuzigten Jesus als zentrales Thema hat.

Aufgrund Ihrer Vorerfahrungen mit anderen Chören und Orchestern gab es bestimmt viele Überlegungen, welche Stücke zu der Universität passen könnten. Wie sind Sie bei der Auswahl vorgegangen?

Wahrscheinlich kommt hier der Schweizer in mir zum Vorschein, aber ich habe über mögliche Programme für die ersten gemeinsamen Aufführungen unsere Musiker demokratisch abstimmen lassen. Für die Vorauswahl habe ich mich im ersten Schritt erst einmal darüber informiert, was unter der Leitung von Peter Bauer in den vergangenen 40 Jahren aufgeführt wurde. Ich musste in der Auswahl der neuen Stücke dann den Spagat zwischen der Fortsetzung des bisher bewährten Weges und einem neuen innovativen Programm suchen. Nächstes Jahr feiern wir zudem ein großes musikalisches Jubiläum: den 200sten Geburtstag des österreichischen Komponisten Anton Bruckner. Von diesem wurde bisher noch keine Symphonie im Universitätsorchester erarbeitet, weswegen ich seine vierte Symphonie vorschlug. Gleichzeitig besteht sowohl stilistisch als auch biographisch eine starke Verbindung zwischen Bruckner und dem Komponisten Richard Wagner. Daher habe ich ergänzend dessen Wesendonck-Lieder dem Orchester präsentiert, da es perfekt in das symphonische Gesamtkonzept passt.

© Charlotte Krause

Reto Schärli auf dem Campus der Universität Konstanz.

Sie arbeiten an der Universität mit nicht professionellen Musikern zusammen. Mit welchen Methoden locken Sie das Beste aus ihnen hervor?

Man muss bedenken, dass alle Beteiligten sich neben ihrer Arbeit, dem Studium und anderen Verpflichtungen engagieren. Daher bin ich wahnsinnig beeindruckt von dem Enthusiasmus, der mir bei den Mitgliedern begegnet ist. Die Freude für die Musik und die Lust, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, hat sich direkt bei den Gesprächen zur Vorauswahl der Stücke gezeigt. Neben dem angesetzten wöchentlichen Probenmodus wird es auch Probenwochenenden geben, in denen wir intensiv am gemeinsamen Stoff arbeiten.

„Als Teil eines Chores und Orchesters wächst man nicht nur musikalisch, sondern im besten Fall auch menschlich zusammen. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist unersetzlich für das gemeinsame Musizieren.“

Was planen Sie für die Zukunft von Universitätschor und -orchester?

Dieses Wintersemester ist ganz dem musikalischen Ausprobieren und persönlichen Kennenlernen gewidmet. Ich möchte herausfinden, was für einen Anspruch die Musiker an mich als Leiter und an die Umsetzung der Werke haben. Für die Zukunft wünsche ich mir, die internationalen Partnerschaften weiterzupflegen. Im Austausch mit anderen Ländern und deren musikalischer Kultur lernt man auch viel über das eigene Spiel. Derlei Projekte werden wir aber erst nach dem ersten gemeinsamen Auftaktsemester realisieren können.

Über Reto Schärli

Geboren 1991 erhielt Reto Schärli seine erste musikalische Ausbildung in Klavier, Violoncello, Gesang und Musiktheorie am Konservatorium Winterthur. Dirigieren studierte er zunächst privat bei Liutauras Balciunas, anschließend an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Weiter vervollständigte er seine Ausbildung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Von 2020 bis 2023 absolvierte Schärli überdies ein Masterstudium in Musiktheorie an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.

Er wurde von 2017 bis 2019 als Stipendiat durch das Dirigentenforum des Deutschen Musikrats gefördert und war 2016/17 Chefdirigent des Symphonieorchesters der Katholischen Hochschulgemeinde KHG Freiburg i.Br. Seit 2019 besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Philharmonie Baden-Baden, die er in mittlerweile unzähligen Gastkonzerten leitete. Zum Studienjahr 2023/24 wurde er als Leiter von Chor und Orchester zum Nachfolger von Universitätsmusikdirektor Peter Bauer berufen.
 

Charlotte Krause

Von Charlotte Krause - 03.11.2023