Menschen im Neonlicht

Das Unitheater Konstanz zeigte mit der Komödie „Der Pirat oder Edle im Exil“ die Aktualität der Autorin Aphra Behn.
© Niklas Stannik

Angesichts des Titels „Der Pirat oder Edle im Exil“ könnte man meinen, in dem entsprechenden Theaterstück gehe es hauptsächlich um Männer und deren (Helden-)Taten. Zumal die Komödie von Aphra Behn aus dem 17. Jahrhundert stammt, in dem das Leben von Frauen stark eingeschränkt war. Tatsächlich ist der Männeranteil am Handlungsgeschehen nicht unerheblich. Allen voran der Pirat Willmore, der schlimmste Rumtreiber unter den Edlen im Exil – groß, aber nicht erwachsen gewordene Jungs, die nicht mehr nach Hause nach England dürfen. Julian Röhr spielt den Saufbold schonungslos testosterongetrieben. Jede Frau, die ihm über den Weg läuft, wird ausnahmslos angebaggert.

© Niklas Stannik

Die Boygroup: (v.l.) Johannes Nicklaus als Frederick, Quentin Lehmann als Sancho, Mati als Blunt, Julian Röhr als Willmore und Lukas Kempkes als Belvile. Belauscht werden sie von Hellena, gespielt von Alicia Franc de Pommerau.
 

Dumm nur für ihn, dass er sich auch die schöne Hellena greifen will. Die ist durchaus nicht abgeneigt, aber zu ihren eigenen Regeln. Bei Alicia Franc de Pommerau ist das eine smarte junge Frau, die ihre Gefühle mit Köpfchen im Griff hat. Wenn sie willig ins Kloster gegangen wäre, wie es Vater und Bruder für sie vorsahen, hätte sie wahrscheinlich das Klosterleben auf den Kopf gestellt.

© Anna Egenolf

Aber mit Köpfchen: Hellena von Alicia Franc de Pommerau und Willmore von Julian Röhr.

Cecilia Amann und das Unitheater-Ensemble haben mit Aphra Behn eine Autorin ausgewählt, die im 17. Jahrhundert Furore machte, dann aber lange vergessen wurde. Nicht nur, dass die verwitwete Berufsschriftstellerin für ihre Zeit ein sehr selbstbestimmtes Leben als Frau führte, gilt sie als die erste Autorin, die von ihrem Schreiben leben konnte. Nicht nur das: Ihr emanzipiertes Leben geht in ihr Schreiben ein.

© Universität Konstanz/Inka Reiter

Hatte die Regie: Unitheaterleiterin Cecilia Amann.

 

Was somit zunächst als klassisches Männerstück erscheint, entpuppt sich in der Inszenierung des Unitheaters als Glanzstück weiblicher Selbstermächtigung. Die Verortung der Komödie ist raffiniert – die Kulisse liefert der Karneval in Neapel, in dem die gesellschaftlichen Zwänge für begrenzte Zeit außer Kraft gesetzt sind. Weil die Studiobühne an der Universität wegen Bauarbeiten derzeit nicht bespielbar ist, war der Kulturladen in den Konstanzer Chérisy-Kasernen Aufführungsort, der sich als würdiger Ersatz mit viel Atmosphäre erwies.

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Insbesondere die Schwestern Hellena und Florinda nutzen die Gelegenheit, um der patriarchalen Fremdbestimmung zu entkommen. Wobei es Florinda graust vor dem reichen alten Mann, den sie heiraten soll, wo sie sich doch in Belvile verliebt hat. Und er liebt sie. Jette Galas und Lukas Kempkes spielen sie als schöne Herz-Schmerz-Geschichte. Das gesamte Personal einschließlich des Bruders Don Pedro – Jam Langer gibt ihn als formidablen Gockel – treffen sich in Neapel und offenbaren hinter der Anonymität der Karnevalsmasken ihre wahren Gesichter. Und die können sehr aufschlussreich sein.

© Niklas Stannik

Bruder Don Pedro gegen die Schwestern: (v.l.) Jette Galas als Florinda, Jam Langer als Don Pedro, Alicia Franc de Pommerau als Hellena, Vanessa Gambus als Callis und Quentin Lehmann als Stephano.

Vier bewegliche Stellwände mit applizierten Karnevalsinsignien zeigen auf der Bühne das Thema an, besonders bezeichnend bei Dunkelheit mit Neoneffekten. Das wird vom Unitheater mit viel ironischer Pose und amüsiertem Blick ins Publikum gespielt, und wenn dann Angellica auftritt, die es längst nicht mehr nötig hat, sich gesellschaftlichen Konventionen zu beugen, dann sieht das ein bisschen aus, als habe Madonna einen ihrer glänzenden Auftritte. Sophie Wiest hat gemeinsam mit Androniki Karipidous und dem gesamten Ensemble großartige Kostüme für die Darstellende entworfen.

Als soloselbständige Prostituierte nutzt Angellica die Karnevalszeit fürs Geschäft. Und verguckt sich leider auch in Willmore, der ihr, man muss es nicht eigens erwähnen, sehr willig ins Gemach folgt. Eigentlich passen sie gut zusammen in ihrer Entschlossenheit, ein unabhängiges Leben zu führen, nur dass Angellica mit gesellschaftlicher Ausgrenzung dafür bezahlt. Androniki Karipidous Rolle steht der ihrer Konkurrentin Hellena an Durchschlagkraft um nichts nach.

© Anna Egenolf

Eifersüchtig: Androniki Karipidous spielt Angellica.

Die Inszenierung belässt es jedoch nicht bei diesen komödienleichten Szenen, wobei auch die oft eine bittere Note haben. Sie holt Aspekte aus dem Stück heraus, die bei näherem Hinschauen vor Brutalität strotzen. Sexuelle Übergriffigkeit ist an der Tagesordnung, scheinbar harmlos beginnende Szenen arten in Beinahe-Vergewaltigungen aus. Dabei steht die Rolle Blunts, des Financiers dieser „Edlen“, stellvertretend dafür, weibliches Selbstbewusstsein mit Aggressivität zu beantworten. Mati zeigt die kalten Seiten seiner Figur, aber auch ihre Einsamkeit.

© Anna Egenolf

Kalt und einsam: Blunt von Mati im Neonlicht des Karnevals. Das Bühnenbild ist ein Gemeinschaftswerk von Pablo Moosmayer, Cecilia Amann und dem Ensemble.

Das fulminante Ensemble des Unitheaters demonstrierte, dass man Spaß haben kann und trotzdem um die harten Seiten nicht herumspielen muss. Schließlich machte Regisseurin und Unitheaterleiterin Cecilia Amann mit ihrer so subtilen wie unterhaltenden Inszenierung auf eine Autorin aufmerksam, die in Großbritannien längst wieder gespielt wird und hierzulande hoffentlich auch ein zweites Theaterleben erhält.

© Niklas Stannik

Schlussapplaus: Alle Beteiligten hinter und auf der Bühne nach der Premiere.
 

Headerbild: Begegnungen im Karneval in Neapel: (v.l.) Blunt (Mati), Belvile (Lukas Kempkes), Frederick (Johannes Nicklaus) und Willmore (Julian Röhr), (v.r.) Callis (Vanessa Gambus), Valeria (Lela Pauline Mader), Hellena (Alicia Franc de Pommerau) und Florinda (Jette Galas). In der Mitte Charlotte Lott und Jana Dinius als Tänzerinnen. Copyright: Niklas Stannik
 

Maria Schorpp

Von Maria Schorpp - 16.02.2024