Wenn Forschung Begeisterungs­stürme auslöst

Am 17. Januar 2024 fand der erste „Open Science Slam“ der Universität Konstanz statt. Mit kreativen Kurzvorträgen gaben fünf Forschende leichtverständliche Einblicke in ihre Arbeit und gingen anschließend in einen regen Austausch mit dem gleichermaßen begeisterten wie diskussionsfreudigen Publikum. Gewinner des Slams: Physiker Thomas Bissinger, der mit der Geschichte der wissbegierigen Laura und einem beherzten Sprung auf das Rednerpult das Rennen für sich entschied.
© v.l.n.r.: Christine Peter, Laura Epp, Moritz Jakob, Simon Pschorr, Thomas Bissinger

Es ist bereits 20:15 Uhr, als immer wieder tobender Applaus durch das R-Gebäude der Universität Konstanz schallt. Was hier zu ungewöhnlicher Stunde gerade passiert, ist die Abstimmung darüber, wer an diesem Abend den Open Science Slam der Universität für sich entschieden hat. Je stärker der Applaus für die jeweiligen SlammerInnen, desto höher die Chance auf den begehrten Hauptpreis: ein Stofftier in Form einer Gehirnzelle – und natürlich unsterblicher Ruhm.

Nach einer knappen Vorentscheidung – denn alle fünf Forschenden haben es geschafft, das Publikum mit kreativen Vorträgen zu begeistern – geht es inzwischen um ein Stechen zwischen nur noch zwei Siegeranwärtern, für die das bis auf den letzten Sitzplatz gefüllte Auditorium noch einmal alles gibt. Denn: „Zweisekündiger Powerapplaus“ wird nun über Sieg und Niederlage entscheiden, so Moderator Danny Flemming vom Kommunikations-, Informations-, Medienzentrum (KIM) der Universität Konstanz, der gleichzeitig als Schalldruckpegelmesser fungiert. Kurz darauf steht Thomas Bissinger als glücklicher Sieger des Abends fest.

Die kleine Laura und ihre Faszination für Tierschwärme
Thomas Bissinger ist theoretischer Physiker an der Universität Konstanz und forscht dort unter anderem zur Selbstorganisation komplexer Systeme und deren Simulation. Doch anstatt das Publikum mit Formeln und Fachbegriffen zu malträtieren, erzählte er die Geschichte von Laura, die als kleines Mädchen des Öfteren zu spät zur Schule kommt. Denn auf dem Schulweg bestaunt sie gerne ausgiebig die Vogelschwärme, die als schwarze Wolken aus tausenden Tieren die erstaunlichsten Muster in den Himmel zeichnen.

Eine Erklärung, wie dieses faszinierende Schauspiel zustande kommt, können ihr jedoch auch die Erwachsenen in ihrem Umfeld nicht geben. Um dem Geheimnis auf die Schliche zu kommen, braucht Laura daher noch viele Jahre, die richtigen Denkanstöße ihrer Physiklehrerin Frau Pfiff und ein naturwissenschaftliches Studium. Erst dadurch lernt sie die Unterschiede zwischen der Selbstorganisation toter und lebender Materie kennen und, dass Vögel durch ihr aktives Verhalten eine charakteristische Art von Ordnung in den Schwarm bringen. Denn jeder Vogel des Schwarms folgt instinktiv drei einfachen Regeln: Zusammenstöße vermeiden, ähnliche Richtungen einschlagen und ein Auseinanderdriften des Schwarms verhindern.

https://youtu.be/JmWQq6UQDCY?si=n0KWMnjmdM4JzS34

Neben der liebevoll ausgearbeiteten Geschichte der wissbegierigen Laura, die ganz nebenbei Einblicke in das Forschungsfeld der „Aktiven Materie“ gab, zeigte Bissinger mit einer kleinen Sporteinlage außerdem, warum es manchmal notwendig ist, auf den Tisch zu springen, um einen Standpunkt zu verdeutlichen. Erzählerisches Konzept und voller Körpereinsatz waren möglicherweise das Zünglein an der Waage, das Bissinger den Sieg einbrachte.

Aus Kotproben Wissens-Gold machen
Doch Bissingers Vorsprung war hauchdünn: Auch die anderen Wettbewerber*innen erreichten vom begeisterten Publikum auf der Applausskala mindestens eine Neun von Zehn. Den Auftakt des Abends machte die Umweltgenetikerin Laura Epp mit einem Kurzvortrag über ihre Arbeit mit Umwelt-DNA.

Gleich zu Beginn zog sie das Publikum in ihren Bann, indem sie Gläser mit „geheimnisvollen“ Substanzen herumgehen ließ – darunter Köttel ihrer Kaninchen. Sehr anschaulich, denn in ihrer Forschung verwendet Epp vergleichbare Proben – aus Gewässern, Sedimenten oder versteinertem Kot –, um daraus Genmaterial zu isolieren und so etwas über die Geschichte und Zukunft von Ökosystemen herauszufinden. Anhand von Umwelt-DNA aus versteinertem Hyänenkot konnte ihr Team beispielsweise nachweisen, dass in der Zeit der späten Neandertaler Wollnashörner in Süddeutschland gelebt haben, und Rückschlüsse auf die Verwandtschaftsbeziehungen des europäischen Wollnashorn-Vertreters zu seinen sibirischen Verwandten ziehen.

https://youtu.be/F7nnEJOw6yM?si=6tFE4_ff6-piP9Jw

Genetische Studien wie die von Epp wären ohne umfangreiche, frei zugängliche Datenbanken für Gensequenzen nicht möglich. Entsprechend stellt auch Epp ihre Sequenzierungsdaten in Archiven wie GenBank und ENA für alle nachnutzbar zur Verfügung.

Ein Dialekt kann auch nützlich sein
Auf die von eiszeitlichen Hyänen verspeisten Wollnashörner folgte ein Beitrag über das Sprachverständnis von Kleinkindern. Warum Kleinkinder aus einem Haushalt, in dem Dialekt gesprochen wird, anders sind als ihre Altersgenossen, erklärte Moritz Jakob. Er ist ehemaliger Mitarbeiter des Konstanzer Babysprachlabors und heute Teil des Team Open Science des KIM.

Er stellte hierfür eine Studie vor, an der er als Hilfskraft im Babysprachlabor mitgewirkt hat und in der das Interesse von 12-18 Monate alten Kleinkindern an Wörtern, die sie mutmaßlich kennen (wie Buch oder Husten), und an unbekannten Fantasiewörtern (wie Zust oder Schuse) ermittelt wurde. Dafür wurde untersucht, wie lange die Kleinkinder beim Abspielen derartiger Wörter in Richtung der Schallquelle guckten – längere Blickdauer entspricht größerem Interesse. Das Ergebnis: Kleinkinder aus Dialektfamilien fanden die Fantasiewörter interessanter als echte Wörter. Diese „Novelty Präferenz“ findet man eigentlich erst bei älteren Kleinkindern – so Jakob. Kleinkinder aus Dialektfamilien scheinen anderen Kindern gegenüber also leichte Vorteile bei der Bildung ihres Wortschatzes zu haben.

https://youtu.be/ASDsf_V7vs0?si=qOTZpIqfkkUGBzYK

Mit seinem humorgespickten Vortrag schrammte Jakob nur knapp am Sieg vorbei, denn er war der finale Konkurrent Bissingers in dem eingangs erwähnten Stechen per Powerapplaus. Übrigens: Für die von ihm vorgestellte Studie hat das Babysprachlabor während der Corona-Pandemie eigens eine App entwickelt, mit der Familien von zuhause aus an der Studie teilnehmen konnten. Citizen-Science at its best.

Von wackelnden Proteinen und forschenden Aliens
Als dritte Slammerin des Abends betrat Christine Peter die Bühne, Fachfrau für „Computational Chemistry“, die sich selbst als Exotin unter ihren KollegInnen im Fachbereich Chemie beschreibt. Dort simuliert sie mit viel Rechenpower sowie echter und künstlicher Intelligenz das Verhalten von Molekülen – insbesondere deren Bewegungen. Denn Proteine stehen selten still, sie „wackeln herum“. Und wie die Proteine wackeln beeinflusst, wie sie mit anderen Molekülen wechselwirken.  

Eine große Schwierigkeit bei der Simulation dieser Moleküldynamiken ist es, zu entscheiden, wann das Ergebnis gut genug ist. Sollen alle relevanten Zustände eines Proteins erfasst werden, spielen die Simulationsdauer und die Anzahl an Simulationen eine wichtige Rolle. Peter verglich dies augenzwinkernd mit pflichtbewussten Konstanzer Universitätsangehörigen, die sich wochentags hauptsächlich zwischen Wohnung und Universität bewegen, am Wochenende dagegen auch mal am Hörnle oder in der Altstadt anzutreffen sind. Wollte ein Außerirdischer die wichtigsten „Zustände“ dieser Konstanzer erfassen, bedürfte es also der Beobachtung mehrerer Personen (mit unterschiedlichen Freizeitaktivitäten) über etliche Tage – so Peter.

https://youtu.be/JHprZ6OFn7Y?si=xjhy6Xu-WyEhPAWr

Da Dynamiksimulationen für Proteine extrem komplex und deshalb rechenaufwändig sind, entwickelt Peter in ihrer Forschung unter anderem ressourceneffiziente Simulations-Methoden und stellt diese der Forschungs-Community frei zur Verfügung.

Mit 400 km/h über die Autobahn
Was ist eigentlich ein Abgeordneter Praktiker? Das musste der Staatsanwalt Simon Pschorr, Vierter in der abwechslungsreichen Reihe der Vortragenden, dem Publikum erst einmal erklären. Abgeordnet – im beamtenrechtlichen Sinne – habe ihn die Staatsanwaltschaft Konstanz an die Universität Konstanz. Dort forscht und lehrt er am Fachbereich Rechtswissenschaften zu Themen, die aus der staatsanwaltlichen Praxis angestoßen wurden und die im rechtswissenschaftlichen Diskurs genauso verankert sind, wie im Gerichtssaal – daher der Praktiker.

Einige spannende Beispiele aus seiner Forschung im Strafrecht hatte Pschorr auch in petto. Wie die Bodycam-Aufnahmen, die von der Polizei während Hausdurchsuchungen gemacht werden, über deren Freigabe interessanterweise das Familiengericht entscheidet und für deren Verwendung im Strafprozess keinerlei gesetzliche Grundlage besteht. Oder der Milliardär, der mit 416 km/h auf der A1 unterwegs war, dafür aber nicht belangt werden konnte, weil er früh morgens auf einem geraden Streckenabschnitt fuhr und es angeheuerte „Streckenposten“ gab, die ihm per Funk die Verkehrslage durchgegeben haben. Ein Fall, mit dem sich Pschorr wissenschaftlich auseinandergesetzt hat. in der Hoffnung, Veränderungen in der Rechtsprechung zu verbotenen Kraftfahrzeugrennen zu erreichen.

https://youtu.be/WBq6iMHiFo0?si=06mMcdAHI4AdI0q-

Pschorr publiziert seine Arbeiten regelmäßig Open Access. Auf der Plattform OpenRewi für frei zugängliche rechtswissenschaftliche Lehrmaterialien wird in Kürze ein Lehrbuch zum Besonderen Teil des Strafrechts erscheinen, für das Pschorr ein Kapitel zum Verkehrsstrafrecht geschrieben hat.

Nicht nur Science, sondern Open Science
Wie aufmerksame LeserInnen vielleicht bereits am Titel der Veranstaltung gemerkt haben, war der Open Science Slam kein gewöhnlicher Science Slam, sondern stand ganz unter dem Motto der Open Science, also transparenter, frei zugänglicher und nachnutzbarer Forschung. Organisiert hat ihn das Team Open Science des KIM, das den Forschenden der Universität Konstanz in allen Fragen rund um das Thema Open Science beratend und unterstützend zur Seite steht und das an zahlreichen Open Science Projekten beteiligt ist – von lokal bis international.

Nach dem großen Erfolg der Veranstaltung wird der erste Open Science Slam der Universität Konstanz sicherlich nicht der letzte gewesen sein. Sollten Sie auf den Open-Science-Geschmack gekommen sein und nicht bis zum nächsten Event warten wollen, um spannende Open-Science-Angebote der Universität Konstanz kennenzulernen, schauen Sie gerne im Online-Magazin der Universität Konstanz vorbei. Dort finden Sie im Open Science Spotlight regelmäßig kurze Artikel zu aktuellen Open Science Highlights unserer Forschenden.

Einen Gesamtmitschnitt des Open Science Slam 2024 finden Sie auf der Seite von KIM.LR | Lecture Recording & Media Production: https://streaming.uni-konstanz.de/talks-und-events/2024/open-science-slam-2024/

Headerbild: Die SlammerInnen des Abends. V.l.n.r.: Christine Peter, Laura Epp, Moritz Jakob, Simon Pschorr und Thomas Bissinger
 

Daniel Schmidtke

Von Daniel Schmidtke - 08.03.2024