Von Chile ins Burgenland

Förderpreis der Stadt Konstanz für Jasmin Berghaus und Sandra Rudman für ihre Dissertationen zu einer aussterbenden Sprache in Österreich und einer chilenischen Kunst, die heilen will.

Mit Aufnahmegerät und Fragebögen im Gepäck ist sie unterwegs im Burgenland. Sie klopft an Türen, besucht alteingesessene Familien in kleinen Dörfern, fragt nach einer alten Sprachkultur, zeichnet Sprachproben auf. Jasmin Berghaus ist Linguistin, genauer gesagt Slawistin. Im Burgenland ist sie auf der Suche nach Sprecher*innen einer vom Aussterben bedrohten Sprache, dem Burgenlandkroatischen. Diese Sprache wird in Österreich von inzwischen schätzungsweise weniger als 10.000 Menschen aktiv gesprochen, manchmal nur von einzelnen Familien einer Gemeinde. Einige Ortsschilder im Burgenland sind zwar noch zweisprachig beschriftet, das größte Problem für die Sprachgemeinschaft ist aber: Das Burgenlandkroatische wird von den Kindern zuhause nicht mehr als Muttersprache gelernt.

Jasmin Berghaus – Sprachwissenschaftlerin an der Universität Konstanz


Jasmin Berghaus hat es zur Aufgabe ihrer Dissertation gemacht, das Burgendlandkroatische sprachwissenschaftlich zu analysieren. Sie interessiert sich für die sprachlichen Besonderheiten der Minderheitensprache, ganz besonders aber für den Sprachkontakt mit dem Deutschen: Alle Sprecher*innen des Burgenlandkroatischen in Österreich sind zweisprachig, sprechen auch fließend Deutsch. Da stellt sich für die Slawistin die Frage: Wie beeinflussen sich die Sprachen gegenseitig? Für ihre Dissertation wurde Jasmin Berghaus nun mit dem Förderpreis der Stadt Konstanz ausgezeichnet. Als sie den Preis im Juli 2023 entgegennahm, hatte sie ihre Dissertation druckfrisch in den Händen.

Auch die zweite Preisträgerin des Abends machte sich für ihre Dissertation auf Reisen: nicht etwa ins Burgenland, sondern ins 12.600 Kilometer entfernte Chile. Sandra Rudman ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Nach Chile führte sie die Recherche zum zeitgenössischen Schriftsteller und Regisseur Alejandro Jodorowsky. Wenn sie mit Menschen in Chile ins Gespräch kam und Jodorowsky zur Sprache kam, erhielt sie stets eine von zwei Reaktionen: Die einen erzählten mit leuchtenden Augen, wie Jodorowskys Werk ihr Leben beflügelte. Die anderen beendeten das Gespräch abrupt. Jodorowsky polarisiert die Menschen, so viel ist klar. Seine Arbeiten sind surreal, symbolisch, gelten teils als schockierend, spalten die Meinungen. Dabei ist Jodorowskys künstlerische Intention eine ganz andere: Im eigentlichen Sinne will er durch seine Kunst Heilung herbeiführen.

Sandra Rudman – Literatur- und Kulturwissenschaftlerin an der Universität Konstanz


„Das Ziel der Kunst ist die Heilung. Wenn die Kunst nicht heilt, ist sie keine Kunst“, zitiert Rudman den Künstler. Die Kulturwissenschaftlerin arbeitet in ihrer Dissertation eine Genealogie des Gesamtwerks Jodorowskys aus. Sie macht zwei Hauptphasen aus: die „Panische Periode“ seines frühen Schaffens und die „La  Danza-Periode“ ab 1990 bis zur Gegenwart. Die erstere ist – vom Theater herkommend – performativ, aktionistisch geprägt. Ihr Leitmotiv ist die unsichtbare Wand eines Pantomimen, symbolisch für die unsichtbaren Begrenzungen in unserer Gesellschaft. Jodorowsky versucht darin, die Bürger*innen aus ihrer Gleichgültigkeit und Unbeteiligtheit zu ziehen. In der „La  Danza-Periode“ findet schließlich ein Paradigmenwechsel statt: Die Befreiungsästhetik seines frühen Schaffens macht einer Ästhetik der Kreation und Konstruktion Platz.

„Das Kuratorium war begeistert von der wissenschaftlichen Leistung“, würdigt der Konstanzer Stadtarchivar Jürgen Klöckler die beiden ausgezeichneten Dissertationen. „Ich möchte sie beide seitens des Kuratoriums und auch ganz persönlich recht herzlich zu diesem Preis beglückwünschen.“ Der Förderpreis der Stadt Konstanz wird seit 1986 lückenlos vergeben und zeichnet gezielt geisteswissenschaftliche Dissertationen aus. In diesem Jahr wird der Preis, wie Oberbürgermeister Uli Burchardt in seiner Begrüßungsrede erklärte, in dieser Form zum letzten Mal und doch nicht zuletzt verliehen. Der Förderpreis soll neu ausgerichtet werden, schildert Burchardt, und voraussichtlich gemeinsam mit dem Landkreis Konstanz in neuer Form an die Geisteswissenschaften vergeben werden. „Der Preis ist mehr als die Würdigung individueller Forschungsleistungen. Er ist auch ein Zeichen der Verbundenheit, Anerkennung und Hervorhebung der Bedeutung von Wissenschaft in unserer Gesellschaft“, bedankt sich Rektorin Katharina Holzinger für die langjährige Preisverleihung und das Signal, den Preis auch künftig – in neuer Form – weiterführen zu wollen.
 

Jürgen Graf

Von Jürgen Graf - 13.07.2023