Eine neue Gesundheitskultur für die Universität

Die Universität Konstanz stellt ihr Gesundheitsmanagement neu auf. Warum Studierende auch nach der Pandemie noch stark belastet sind und wofür das Team Gesundheitsmanagement eine Befragung mit Studierenden und Mitarbeitenden durchführt, schildert in unserem Interview Birgit Schäfer, Referentin für universitäres Gesundheitsmanagement.
© Philipp Uricher

Das Gesundheitsmanagement stellt sich neu auf. Warum genau jetzt, Frau Schäfer?

Birgit Schäfer: Das Gesundheitsmanagement, gerade für Studierende, hat seit der Corona-Pandemie an vielen Hochschulen Fahrt aufgenommen. Die Pandemie brachte erhebliche Belastungen für Studierende: Ganz voran waren Konzentrationsprobleme und Einsamkeit ein Thema, vermehrt Schlafstörungen, Depressionen. Die Psychotherapeutische Beratungsstelle (PBS) von Seezeit war stark nachgefragt, aber nicht erst seit der Pandemie. In der PBS haben sich die Beratungszahlen in den letzten zehn Jahren verdoppelt, das war eine kontinuierliche Entwicklung – und sie geht davon aus, dass die Zahlen weiter steigen werden.

„Es gab schon vorher große Belastungen für Studierende, aber durch die Corona-Pandemie kamen diese gezielter ins Bewusstsein. Da haben wir uns gesagt: Dann stellen wir das Gesundheitsmanagement gleich für die gesamte Universität nachhaltiger auf, in einem gemeinsamen Projekt mit der Techniker Krankenkasse.“

Birgit Schäfer

Aber ist die Pandemie nicht vorbei?

Die Techniker Krankenkasse hat 2023 eine Umfrage unter ihren Versicherten durchgeführt, bundesweit bezogen. Darin zeigt sich, dass die Pandemie für die Studierenden nicht vorbei ist, sondern sich die Gesundheit von Studierenden im Vergleich mit 2015 verschlechtert hat.
Nach dieser Umfrage haben 53 Prozent der befragten Studierenden immer noch Schlafstörungen. 43 Prozent haben Konzentrationsschwierigkeiten und 37 Prozent haben in einer Form emotionale Erschöpfungssymptome, die einem Burnout zugerechnet werden.

Woher kommen diese Belastungen?

Das ist nicht alleine die Corona-Pandemie. Das hat auch etwas mit strukturellen Problemen zu tun. Studierende sitzen im Schnitt täglich elf Stunden, das wissen wir aus Studien. Da ist ein eklatanter Bewegungsmangel gegeben. Eine wichtige Form der Stressbewältigung entfällt dadurch, mit entsprechenden physischen und psychischen Folgen für Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
Dann haben Studierende häufig Doppelt- und Mehrfachbelastungen oder finanzielle Sorgen. Zum Wochenpensum von teils bis zu 40 bis 50 Stunden im Studium kommen häufig Nebenjobs hinzu. Da nur noch ca. elf Prozent der Studierenden überhaupt BaföG erhalten, betrifft das viele. Ein Hauptstressfaktor für Studierende stellen Prüfungen und Angst vor schlechter Benotung dar. Coachings bei Prüfungsängsten sind hilfreich, aber wo es strukturelle Ursachen gibt, muss man diese an der Wurzel anpacken und gezielt mit Verbesserungen ansetzen.

© Birgit Schäfer

Im Juli 2023 haben erstmalig der Arbeitskreis Universitäres Gesundheitsmanagement und der Arbeitskreis Aktionsplan Inklusive Hochschule an der Universität Konstanz getagt. Ziel der Arbeitskreise ist, interdisziplinär und partizipativ die Gestaltung der gesunden und inklusiven Hochschule und den Ausbau und die strategische Weiterentwicklung bestehender Maßnahmen voranzutreiben. Auf dem Bild: die Mitglieder des Arbeitskreises Universitäres Gesundheitsmanagement am 07.07.2023.

Wie sieht es bei den Beschäftigten an den deutschen Universitäten aus?

Die Beschäftigten sind besser durch die Corona-Pandemie gekommen als Studierende. Aber was wir aus dem betrieblichen Gesundheitsmanagement allgemein wissen, bundesweit und branchenübergreifend: Die Erkrankungszahlen aufgrund psychischer Diagnosen haben in den letzten 20 Jahren stetig zugenommen, ebenso Frühverrentungen. Das hat viele Gründe und gewisse Parallelen zu den Studierenden. Neben einer Enttabuisierung von psychischen Belastungen, die positiv zu bewerten ist und deshalb zu häufiger gestellten Diagnosen führt als in früheren Jahren, haben sich auch die Arbeitsbedingungen verändert: Arbeit ist verdichtet, sie ist schneller geworden, z. B. durch die digitalisierten Prozesse, aber auch der Fachkräftemangel schlägt dabei zu Buche.

Gesundheitsaktivitäten der Universität Konstanz

Die Universität Konstanz engagiert sich für die Gesundheit:

  • Der Hochschulsport bietet seit 1973 Sport- und Gesundheitsangebote für Universitätsmitglieder.
  • 2005 wurde der Arbeitskreis „Gesunde Uni“ gegründet, um die Gesundheit von Beschäftigten zu fördern.
  • 2014 richtete die Universität das Amt der Beauftragten für die Belange der Studierenden mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen ein
  • Seit 2017 treibt sie im „Active Campus“ gesundheitsfördernde Maßnahmen für Studierende voran.
  • Seit 01.01.2023 setzt sie das Projekt „Health Empowerment – Gesund studieren, lehren, forschen und arbeiten“ zur Gestaltung eines universitären Gesundheitsmanagements um (gefördert von der Techniker Krankenkasse).

Sie möchten die neuen Gesundheitsmaßnahmen vor allem bedarfsorientiert und partizipativ entwickeln.  Aus diesem Grund führen Sie eine universitätsweite Befragung unter allen Studierenden und Beschäftigten durch.

Wir brauchen Informationen: Was sind die großen Stellhebel, mit denen wir möglichst viel bewirken können – und die wir auch finanzieren können? Die Techniker Krankenkasse fördert uns hier in einem größeren Projekt namens „Health Empowerment – Gesund Studieren, Lehren, Forschen und Arbeiten“. Wir haben uns darin auf die Fahnen geschrieben, das universitäre Gesundheitsmanagement so zu gestalten, dass betriebliches und studentisches Gesundheitsmanagement stärker zusammenarbeiten.

„Wir wollen die Ressourcen bündeln, bedarfsorientierte Maßnahmen planen und dafür eben auch eine umfassende Bedarfserhebung betreiben, damit wir sinnvolle Strategien entwickeln können.“

Birgit Schäfer

Parallel zum Projekt „Health Empowerment“ erarbeitet die Universität Konstanz einen Aktionsplan „Inklusive Hochschule“. Der Aktionsplan zielt darauf, die universitären Strukturen für Barrierefreiheit und Inklusion zu prüfen, Handlungsbedarfe zu ermitteln und einen Handlungsplan zu entwickeln. Der Aktionsplan wird bis Ende Juni 2024 mit Studierenden und Mitarbeitenden in partizipativer Weise erarbeitet.

Wonach fragen Sie die Studierenden und Beschäftigten?

Unser Fokus sind die gesundheitlichen Rahmenbedingungen an der Universität: dass wir sie bestmöglich aufstellen und die Universitätsmitglieder nach besten Kräften darin unterstützen, gesund studieren und arbeiten zu können.
Wir wollen wissen: Wie gut sind wir als Hochschule aufgestellt? Wir haben an der Universität Konstanz schon sehr gute Maßnahmen, aber wir wollen noch genauer wissen: Wie beurteilen das die Mitarbeitenden? Was wollen uns die Studierenden mit auf den Weg geben, wenn wir für das Gesundheitsmanagement Maßnahmen auflegen? Was fehlt ihnen noch an Maßnahmen?
Wir fragen auch nach der Zusammenarbeitskultur: Wie wird die gegenseitige Unterstützung erlebt? Kann man sich einbringen? Kann man auf dem Campus so sein, wie man ist? Fühlt man sich hier wohl? Auch Themen wie Workload, Arbeits- und Studienbedingungen, Barrierefreiheit und Inklusion werden adressiert.
 

Hier geht‘s zur Befragung: Gesundheitsbefragung


Warum haben Sie sich für genau diesen Fragebogen entschieden?

Wir haben uns für den Bielefelder Fragebogen entschieden, weil er im Rahmen von Forschungsprojekten entwickelt wurde und bereits seit vielen Jahren an Universitäten eingesetzt wird. Das ermöglicht uns, unsere Ergebnisse mit anderen Hochschulen zu vergleichen. Die Universität Konstanz hat ihn 2016 für eine Befragung von Mitarbeitenden genutzt, da können wir zusätzlich intern vergleichen. Für Studierende kommt er in Konstanz erstmalig zum Einsatz.
Der Fragebogen erfasst gesundheitliche Belastungen oder Beschwerden und fragt nach Arbeits- und Studienbedingungen. Die Fragen richten sich dabei sowohl an Mitarbeitende und Studierende, die uns einen Handlungs- oder Verbesserungsbedarf rückmelden wollen, als auch an diejenigen, die sich gesund und wohl fühlen und mit ihren Rahmenbedingungen hoch zufrieden sind.

Was passiert mit den Ergebnissen?

Partizipation ist sehr wichtig. Wir werden die Ergebnisse den Studierenden und Mitarbeitenden vorstellen, sie mit ihnen diskutieren und gemeinsam an konkreten Maßnahmen arbeiten. Wir entwickeln Empfehlungen für die Hochschulleitung, unterfüttert mit Daten. Die Universität hat ganz viel in der Hand, indem sie sich hinstellt und sagt: „Eure Gesundheit ist uns wichtig. Wir wollen bestmögliche Rahmenbedingungen bieten.“

Birgit Schäfer

Das kann in der Praxis dann verhältnisorientierte und verhaltensorientierte Maßnahmen bedeuten. Verhaltensorientierte Maßnahmen sind das, was man kennt: Stressmanagement-Kurse, Bewegungsangebote etc. Bei verhältnisorientierten Maßnahmen geht es eher um die Qualität der Zusammenarbeit, die Ausstattung an Arbeitsplätzen, also die Frage: Wie ist das Miteinander an der Hochschule gestaltet, gibt es Verbesserungspotenzial? Da geht es dann auch um das Thema Inklusion, um Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe. Beispielsweise um die Frage, wie die Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre für Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung gestaltet sind. Hier ist die Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 ratifiziert hat, eine visionäre Leitplanke für den Aktionsplan Inklusive Hochschule, den wir bis Mitte 2024 erarbeiten.
© Birgit Schäfer

Die Mitglieder des Arbeitskreises Aktionsplan Inklusive Hochschule am 07.07.2023.

Ihr Projekt ist auf drei Jahre angelegt. Wie kann es gelingen, mit einem dreijährigen Projekt dauerhafte Gesundheitsstrukturen zu schaffen?

Durch unser Projekt haben wir die Chance, Bedarfe zu ermitteln, die Arbeitskreise aufzubauen, Erfahrung zu sammeln, die Form der Partizipation zu entwickeln und auch damit zu experimentieren. Und herauszufinden: Was funktioniert hier gut? Womit machen wir gute Erfahrungen? Wie können wir Bestehendes wie das betriebliche Gesundheitsmanagement mit der „Gesunden Uni“ oder das studentische Gesundheitsmanagement mit „Active Campus“, Studis mit Studis und anderen Maßnahmen gut weiterentwickeln und sinnvoll verstetigen? Was passt gut zur Universität Konstanz? Dadurch können wir Erfahrungswerte sammeln, wie viele Ressourcen wir für dauerhafte Maßnahmen brauchen, um diese dann strukturell in der Universität zu verankern.
Im Juli 2023 haben erstmalig der Arbeitskreis Universitäres Gesundheitsmanagement und der Arbeitskreis Aktionsplan Inklusive Hochschule an der Universität Konstanz getagt. Ziel der Arbeitskreise ist, interdisziplinär und partizipativ die Gestaltung der gesunden und inklusiven Hochschule und den Ausbau und die strategische Weiterentwicklung bestehender Maßnahmen voranzutreiben.

Ihnen ist wichtig, dass das Gesundheitsmanagement in eine gesamtuniversitäre Kultur übergeht.

Auf jeden Fall. Und zwar eine entspannte Gesundheitskultur. Ich möchte keine Betroffenheitskultur, sondern eine „Wir gehen gut miteinander um“-Kultur. Eine „Wir achten gemeinsam auf gute Rahmenbedingungen“-Kultur.
Sicher ist aber auch, dass manche gesundheitliche Herausforderungen oder Belastungen außerhalb der Einflussmöglichkeiten der Universität liegen. Wir können nicht alles in der Universität lösen. Wir sind kein Fitnesscenter oder eine Wellnessoase, und haben im öffentlichen Dienst auch begrenzte Mittel. Aber wir können herausfinden, was in unserem Einflussbereich liegt, und das können wir gemeinsam anpacken. Da ist die Kreativität von vielen gefragt und die Universität Konstanz, so wie ich sie bisher kennengelernt habe, ist dafür sehr gut aufgestellt, mit ihrem lebendigen und kreativen Miteinander.
 

Jürgen Graf

Von Jürgen Graf - 01.12.2023