Krisenmodus mit Chancenpotenzial

Rektorin Prof. Dr. Kerstin Krieglstein äußert sich zu einem Campus mit weniger Menschen, zu Corona-bedingten Entscheidungen, zur Kooperation mit Stadt und Landkreis, zum Transferauftrag einer Universität und zu den Chancen der aktuellen Situation.


uni’kon: Frau Professorin Krieglstein, wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit. Dass ganze Universitäten geschlossen werden, war noch vor wenigen Wochen unvorstellbar. Was empfinden Sie mit Blick auf eine nahezu leere Universität?

Prof. Dr. Kerstin Krieglstein: Es kommt mir vor wie eine unwirkliche, surreale Welt. Die Universität ist eigentlich immer voller Leben, auch am Abend und Wochenende sind Menschen da. So ganz leer, das ist sehr merkwürdig. Am Anfang nach der Schließung habe ich noch einige Ernennungen auf Professuren durchgeführt. Die zu Ernennenden sind durch den Eingang am i-Punkt reingekommen, dann haben wir im großen Eingangsbereich ein Plätzchen gesucht und dort die Ernennung durchgeführt. Das kann man sich eigentlich nicht vorstellen, dort zu zweit zu sitzen und kein Mensch ist da. Auch die Bibliothek: Sie hat so viele Ecken und Einrichtungen, in denen man sich aufhalten möchte. Aber seit vergangenem Montag [27. April 2020, Red.] lassen wir wieder mehr Leben herein. Die Universität wird sich langsam wieder mit Leben füllen können.
 

uni’kon: Was bestimmt das Planen und Handeln der Universität Konstanz im Notbetrieb, auf was muss die besondere Aufmerksamkeit gerichtet sein?

Kerstin Krieglstein: Das ist eine ganz besondere Frage. Mitte März haben wir im Krisenstab lange diskutiert, wie wir mit der Pandemie-Situation umgehen sollen, und haben uns für den Shutdown, den Notbetrieb, entschieden. Das hat sich als eine sehr gute Lösung erwiesen. So konnten wir uns schnell Infektionsschutzmaßnahmen überlegen und gleichzeitig auch damit beginnen zu überlegen, wie nach einiger Zeit der neuen Situation entsprechend Bereiche wieder aufgebaut werden können.

„Was brauchen wir, was muss funktionieren, was muss gewährleistet sein, was muss es an Unterstützung geben, um im Homeoffice arbeiten zu können? Was kann im Homeoffice auch nicht geleistet werden?“

Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, Rektorin der Universität Konstanz

Fragen, die wir konstruktiv beantworten konnten. Hätten wir uns für eine Teilreduktion entschieden, hätten wir die ganze Zeit agieren müssen – zwischen das eine verbieten und das andere erlauben. Das wäre vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes, in der Argumentation, aber auch als Reaktion auf die Vorgaben des Landes Baden-Württemberg sehr viel schwieriger geworden. Aus dem Notbetrieb heraus konnten wir uns jedem einzelnen Thema mit der nötigen Aufmerksamkeit widmen, wir konnten uns überlegen, wie wir nach und nach mehr Leistungen zulassen, ob das die Poststelle oder die Bibliothek betrifft.

uni’kon: Die Universität Konstanz ist Teil der Stadt Konstanz. Zum Beispiel fahren die Busse der Stadtwerke Konstanz normalerweise jeden Tag zigfach von der Stadt auf den Gießberg und umgekehrt. Wie sah und sieht die Zusammenarbeit der Universität mit der Stadt und mit dem Landkreis Konstanz aus? Haben sich möglicherweise sogar Kooperationsformen entwickelt, die in Zukunft weiter genutzt werden können?

Kerstin Krieglstein: Die grundsätzlichen Beziehungen zur Stadt und zum Landkreis Konstanz sind hervorragend. Zum Dienstbeginn des Landrates zum Beispiel gab es ein Auftaktgespräch zwischen Landrat Zeno Danner und mir, in dem wir viele gemeinsame Punkte adressiert haben. Das hat sich jetzt in der Krise sofort bewährt, so dass ein Anruf von Herrn Danner, ob wir ihm beim Durchführen von Corona-Tests unterstützen könnten, innerhalb von 24 Stunden zur Tat geführt hat. Herr Marx und Herr Hauck entwickeln in einer Forschungskooperation mit dem Klinikum Konstanz, dem medizinischen Diagnostiklabor Labor Dr. Brunner sowie der Ausgründung myPOLS Biotec ein zum klassischen PCR-Test alternatives Covid-19-Schnelltestverfahren. Abgesehen von Hilfeersuchen im Fall dieser Tests kam die Frage nach Interessierten auf, die sich in Gesundheitsämtern in vielfältigen Bereichen engagieren wollen. Es gab auch eine Anfrage für Unterstützung im Krankenhaus, wofür sich viele Studierende gemeldet haben. Es gibt jetzt eine intensive Kommunikation und Zusammenarbeit, die in kürzester Zeit immer zu tragenden Lösungen führt und geführt hat.

Auch mit der Stadt und ihrem Oberbürgermeister Uli Burchardt haben wir eine sehr gute Kommunikationskultur. Weil Sie als Beispiel die Busanbindung und die Mobilität für die Angehörigen der Universität erwähnen: Als Ergebnis der Zusammenarbeit mit Stadt Konstanz und Stadtwerken haben wir aktuell eine fast fertige Mobilitätsstudie, die viele Aspekte einer optimierten und zukunftsorientierten Mobilität berücksichtigt. Die Zusammenarbeit zwischen Universität und Stadt hat sich sehr verdichtet. Sowohl was Stadt als auch Landkreis betrifft, sind sehr vertrauensvolle Beziehungen gewachsen, die auch in Zukunft tragen werden.

„Die Zusammenarbeit zwischen Universität und Stadt hat sich sehr verdichtet. Sowohl was Stadt als auch Landkreis betrifft, sind sehr vertrauensvolle Beziehungen gewachsen, die auch in Zukunft tragen werden.“

Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, Rektorin der Universität Konstanz

 

uni’kon: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Konstanz haben sofort auf die Situation reagiert und stellen ihre Expertise für die Bewältigung der Corona-Krise in vielfältiger Weise zur Verfügung. Was ist die Aufgabe von Forschung in Zeiten wie diesen?

Kerstin Krieglstein: Ich würde die Frage anders stellen: Was ist die Aufgabe einer Universität in Zeiten wie diesen? Forschung ist nur ein Aspekt. Begonnen hat das Engagement mit der Frage: Gibt es eine Möglichkeit, bei den Corona-Tests zu helfen? Darauf hat sich unter der Leitung des Zellbiologen Christof Hauck und mit Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen wie Andreas Marx, Thomas Mayer und Alexander Bürkle, die alle ihre Expertise und ihr Equipment eingebracht haben, ein spontanes und sehr kollegiales Engagement entwickelt. Herr Hauck konnte in engem Austausch auch mit dem Labor Brunner in Konstanz relativ schnell Probeläufe durchführen. Solche Tests sind natürlich schon vorhanden, aber vieles dabei ist optimierbar, beispielsweise indem Testabläufe optimiert, Polymerasen verbessert oder zeitaufwändige Schritte abgekürzt werden. Da hatten viele Kolleginnen und Kollegen gute Ideen, mit denen sie einen deutlich optimierten Test entwickelt haben.

Darüber hinaus ist natürlich auch wichtig zu fragen: Können wir neben einem Impfstoff auch über Therapien nachdenken? Hier gibt es eine ganze Reihe von Ansätzen, die an der Universität Konstanz etabliert sind und durch Wissenschaftler wie zum Beispiel Thomas Böttcher auch schon große Fortschritte gemacht haben.
Abgesehen von den Corona-Tests hat es weiteres Engagement gegeben. So wurde in der Informatik eine App zur Identifikation und Verteilung der intensivmedizinischen Betten in Deutschland entwickelt, die hervorragend funktioniert. Dann wurde aber auch gefragt, wie die Situation aus einer sozialwissenschaftlichen, politikwissenschaftlichen und psychologischen Perspektive begleiten werden kann. Umfragen wurden gestartet, die die psychologische Belastung von Menschen in der Krise und die politischen Dimensionen adressieren und die sozialen Komponenten herausarbeiten. Das sind wertvolle Begleitungen, die Kolleginnen und Kollegen der Universität geleistet haben. Schließlich gibt es ein Beratungsangebot durch die Psychologie für Personen, die im Homeoffice oder in welcher Situation auch immer Unterstützung brauchen. Das Angebot wurde sehr schnell etabliert und auch sehr gut angenommen. Die Unterstützung der Gesundheitsämter und die Hilfe in Krankenhäusern erwähne ich hier gern noch einmal.
 

uni’kon: Was Wissenschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen kann, zeigt die aktuelle uni’kon-Ausgabe anhand der Forschung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Konstanz. Wir zeigen, was die Forschenden auf ihren jeweiligen Fachgebieten zur Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN leisten und wie ihre Ergebnisse zur Erreichung der Ziele beitragen. Was kann eine Universität, in der im Wesentlichen Grundlagenforschung betrieben wird, im Sinne der Nachhaltigkeit leisten?

Kerstin Krieglstein: Eine Universität hat hier drei Aufgabenfelder. Natürlich ist die Universität erst einmal ein Betrieb, der schaut, wie er einem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen gerecht werden kann. Bereits hier ist ein breites Betätigungsfeld möglich, das an der Universität Konstanz nicht erst seit heute sehr gut bestellt wird und sicherlich weit in die Zukunft trägt. Dazu gehört insbesondere die Reduktion von Energie und die Umsetzung von Energie in erneuerbare Energie. Wenn ich die rund 15.000 Universitätsangehörigen im Blick habe, kann der Betrieb Universität auch sensibilisieren Empfehlungen aussprechen, wie man im Alltag verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen kann. Hier schließt der Bereich Lehre an: Was leistet die Lehre im Sinne der Nachhaltigkeit?

„Wir haben hier mit dem Green Office, das von Studierenden betrieben wird, eine Einrichtung, die sich in Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem Zentrum für Schlüsselqualifikationen und natürlich mit Lehrenden Großartiges leistet.“

Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, Rektorin der Universität Konstanz

Damit eng verbunden ist die Frage nach der Mobilisierung der Gesellschaft im Sinne der Nachhaltigkeit.

Und natürlich ist die Forschung relevant, wenn es um nachhaltige Entwicklung geht. Eine grundlagenorientierte Universität kann aufzeigen, wie eine Gesellschaft neue Wege finden oder vorhandene Pfade neu gestalten kann, um zum Beispiel Klimaziele zu erreichen. Nehmen wir den Konstanzer Mathematiker Stefan Volkwein, der mit seiner mathematischen Modellierung berechnet, wie bei der optimalen Versorgung einer Stadt wie Konstanz signifikante Energieeinsparungen zu erreichen sind. Das sind Dinge, die nur ein Grundlagenwissenschaftler leisten kann, der das optimale Modell sucht, und extrem gute Voraussetzungen, wissenschaftliche Expertise in die Gesellschaft zu tragen.

uni’kon: Mittlerweile wird viel darüber diskutiert, ob der Shutdown auch Chancen für die Zukunft birgt. Wie sehen Sie das im Fall der Universität Konstanz?

Kerstin Krieglstein: Ich bin der festen Überzeugung, dass jede Krise Chancen birgt. Manches ist ja auch schon evident geworden.

„Jetzt ist unübersehbar, dass die digitale Transformation überfällig ist. Die Gesellschaft hat dieser Tage gelernt, dass wir sie brauchen, und ist jetzt bereit, das Thema anzugehen.“

Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, Rektorin der Universität Konstanz

Wir haben auch verstanden, dass wir eigentlich schon zu lange damit gewartet haben. Das betrifft eine grundsätzliche Sache: Wir sind für gewöhnlich so in den Alltag eingebunden, dass wir die Gelegenheit verpassen, Dinge neu zu denken und neu zu machen. Die Corona-Krise liefert uns nun eine Zäsur. Sie fordert von uns innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums neues Handeln, vor allem im digitalen Kontext. Für unsere E-Science-Strategie, die wir im Rahmen der Exzellenzstrategie für die Universität Konstanz konzipiert haben, ist das eine sehr günstige Startsituation. Wir werden sie in Forschung, Lehre und Verwaltung umsetzen, und zwar Hand in Hand.

Auch in der Wissenschaft könnten sich für jeden einzelnen Überlegungen dazu lohnen, was wichtig ist in meiner Forschung und in meiner Lehre. Arbeite ich mit den richtigen Themen, mit den richtigen Methoden? Für solche Fragen braucht man Zäsuren. So etwas schaffen wir fast nie aus dem Alltag heraus. Gerade in der Lehre bietet die digitale Neuorientierung enorme Möglichkeiten, und gerade jetzt kann niemand von anderen erwarten, perfekt zu sein. Jeder hat die Chance, Neues auszuprobieren, jeder darf Fehler machen. Das alles kann uns diese Zäsur ermöglichen.

Maria Schorpp

Von Maria Schorpp - 13.05.2020

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