Ziel 12: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen


In der chemischen Produktion führt derzeit kein Weg am Erdöl vorbei: Erdöl ist die Grundchemikalie der Industrie, auch im pharmazeutischen Bereich. Beinahe sämtliche Arzneimittel und Chemikalien, die gegenwärtig im Gebrauch sind, werden auf Grundlage von Erdöl produziert. Diese ölbasierten Herstellungsverfahren sind im Vergleich zu alternativen Syntheseverfahren noch immer ausgereifter, günstiger und somit effizienter. Solange alternative Verfahren nicht an diese Standards heranreichen, wird sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern.

Das muss aber nicht bedeuten, dass die chemische Produktion nicht nachhaltiger werden kann. Selbst wenn wir den Grundstoff Erdöl momentan nicht austauschen können, so können wir doch zumindest die ölbasierten Produktionsverfahren nachhaltiger gestalten. Im chemischen Prozess von der Grundchemikalie Erdöl bis zum fertigen Produkt steckt eine komplette Wertschöpfungskette, die wir optimieren können.

Gut durchdachte chemische Synthesewege können Abfallprodukte vermeiden oder im weiteren Verfahrensweg wiederverwerten. Sie können lange chemische Synthesewege verkürzen und somit direkter zum Ziel führen. Nicht zuletzt kann es uns durch ein intelligentes Hochskalieren gelingen, auch mit einem geringeren Verbrauch an Reagenzien größere Produktionsmengen vom Ergebnis zu erzielen.

Mit diesem Ansatz haben wir in Konstanz bereits heute Erfolge bei der Synthese von äußerst seltenen Naturstoffen – zum Beispiel bei Taxanditerpenen, die als Chemotherapeutika eingesetzt werden, oder jüngst bei einem äußerst komplexen Vertreter dieser Taxane — dem Canataxpropellan. Diese Stoffe (Taxane) stammen aus der Rinde der Eibe und kommen dort in nur geringsten Mengen vor. Bereits rein quantitativ wäre es nicht möglich, den weltweiten Bedarf an diesen Stoffen aus natürlichen Ressourcen zu decken – die Eibe wäre in kürzester Zeit bis auf den letzten Stamm gerodet. 

Mit neu durchdachten Synthesewegen konnten wir hingegen eine kürzere, effizientere und vor allem nachhaltigere Methode schaffen, um die seltenen Naturstoffe zu erzeugen. Bei unserer Formel für Canataxpropellan kommen beispielsweise photochemische Methoden zum Einsatz: Die chemische Reaktion des Moleküls wird durch die Bestrahlung mit Licht bewirkt anstelle durch die Beigabe von zusätzlichen Reagenzien. 

Ein großes Potenzial für die nachhaltige Synthese sehe ich ferner in katalytischen Verfahren, in der Fermentation von Naturstoffen sowie in sogenannten Intermediaten: Dabei handelt es sich um chemische Zwischenprodukte, die sehr flexibel zu einer großen Spanne an Endprodukten vervollständigt werden können – wie nach dem sogenannten „Verbundsystem“, wobei wenige synthetische Intermediate als Verzweigungspunkte dienen, aus denen sich unterschiedlichste Ergebnisse vernetzt erzeugen lassen. Das ersetzt zwar das Erdöl nicht, aber es setzt unsere vorhandenen Ressourcen nachhaltiger ein.

Prof. Dr. Tanja Gaich ist Professorin für Organische Chemie an der Universität Konstanz.


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Prof. Dr. Tanja Gaich

Von Prof. Dr. Tanja Gaich - 14.05.2020

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